Das erste Schwert
Abendschatten wölbten sich ringsumher drohend die Buckel der Pfuhlhöhen. Garnald schritt zügig den bergauf
führenden Pfad entlang, und Skip tat es ihm nur zu eifrig gleich – dankbar dafür, dass jemand bei ihnen war, der sich an diesem
ungastlichen Ort zuhause fühlte, und nicht, wie seine Gefährten – und selbst Kara –, nur unendliche Verlorenheit empfand.
Ganz allmählich wandelte sich das Nieseln zu richtigem Regen, und im Nu war Skip bis auf die Haut durchnässt; wie Bleigewichte
klebten ihm die Kleider am Leib. Sehnsüchtig wünschte er sich einen trockenen Lagerplatz und ein warmes Feuer herbei. Aber
im selben Moment schon kam ihm beides so wirklichkeitsfremd und unmöglich vor wie sein Verlangen danach, den Pfuhl hinter
sich lassen zu können.
Unvermittelt hielt Garnald vor einer höhlenartigen Öffnung in der Flanke des Hügels an. »Ich habe hier schon öfters übernachtet«,
sagte er. »Hier dürften wir sicher sein.«
»Können wir ein Feuer anmachen?«, fragte Ellah flehentlich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, bestimmte er hastig und |246| mit weit größerem Nachdruck als vonnöten gewesen wäre. »Tut mir leid, Leute«, fügte er, wieder burschikoser, hinzu. »Es wird
eine ungemütliche Nacht. Wir müssen dicht beieinander bleiben. Aber zumindest bietet uns diese Höhle Schutz vor dem Regen.«
Sie legten ihre Rucksäcke und Bündel gleich im Eingangsbereich der Höhle ab. Skip erwog, die nassen Kleider auszuziehen, aber
allein der Gedanke, in dieser Umgebung und Kälte nackt und entblößt zu sein, erwies sich als Folter. Vielleicht trockneten
seine Kleider ja irgendwie im Laufe der Nacht, und so mochten sie ihn genügend wärmen.
»Wir müssen Wache halten«, sagte Garnald und warf dem dunklen Höhlenschlund hinter ihnen einen verstohlenen Blick zu.
Obwohl sie alle müde waren, stand keinem von ihnen der Sinn nach Schlaf. Sie saßen eng beieinander und breiteten für eine
dringend benötigte Mahlzeit ihren Reiseproviant vor sich aus.
Skip behielt Erle so unauffällig wie möglich im Blick. Noch immer war der Bruder von seinen ureigenen Gedanken in Anspruch
genommen und beteiligte sich nicht an der Unterhaltung. Auch Ellah saß ungewöhnlich schweigend in der Runde, und ihr Gesicht
war blass und abgespannt – was Skip verriet, dass sie weit mehr Tränen vergossen hatte, als sie zeigen wollte. Damit blieben
Garnald und Kara als Gesprächspartner. Was Skip insgeheim stöhnen ließ. Die Gewitterstimmung zwischen diesen beiden war eher
noch undurchdringlicher geworden.
Na dann: gute Nacht,
dachte Skip ergeben, und nach kurzer Anstrengung, ein gutes Gesprächsthema zu finden, beschloss er, sich mit der Rolle des
stillen Beobachters zu bescheiden.
Es war Kara, die irgendwann das Wort ergriff.
»Ich bin kein Pfuhlgänger«, sagte sie mit einem Seitenblick zu Garnald hin, »und ich mache auch keine Geschäfte |247| mit der Waldfrau. Also, erklärt mir bitte, warum wir zum Außenposten gehen – und den Pfuhl nicht stattdessen auf direktestem
Wege verlassen.«
»Zuvor wüsst’ ich gerne, wohin du mit Ellah und den Jungs zu gehen beabsichtigtst, Mädchen«, sagte Garnald mit Unschuldsmiene;
doch da glomm ein Funke in den Tiefen seiner dunklen Augen, der Skip verriet, wie sehr der Pfuhlgänger auf der Hut war.
»Jaimir«, gab Kara zur Antwort. Skip hüstelte hinter vorgehaltener Hand. Sie war sich des Kräftemessens bewusst, soviel stand
für ihn fest, doch benahm sie sich weiterhin ganz ungezwungen.
»Warum?«, fragte Garnald.
Sie lächelte und sah ihm direkt in die Augen.
»Was geht’s Euch an, Pfuhlgänger?«
»Ich mach’ mir ein wenig Sorgen um die Jungs«, erwiderte er. »Sie sind nicht gewohnt, mit deinesgleichen zu reisen.«
»Es will mir scheinen, dass gerade meinesgleichen die einzigen sind, die ihnen die Haut retten, wenn’s hart auf hart kommt.«
Ihr Lächeln neckte ihn, forderte ihn heraus. Skip wusste – bis ans Ende seiner Tage könnte er sich nicht daran satt sehen.
Garnald nickte. »Also gut. Wenn’s tatsächlich vonnöten ist, dass sie diese Reise unternehmen, dann sollte deine Anwesenheit
ganz ihrem Schutz dienen und sie keinesfalls in noch größere Gefahr bringen, Söldnerin.«
Sie entgegnete nichts darauf, aber sie hielt seinem Blick stand, und das provozierende Lächeln veränderte sich nicht.
»Am schnellsten gelangt ihr über Schwarzkiefernhain nach Jaimir. Es gibt einen Weg, der von den Pfuhlhöhen direkt
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