Das Erwachen
Laub in die Luft. »Herbst? Ist das der Herbst?«
Er hob noch mehr Blätter auf, und auch sie bückte sich danach. Diesmal wollte sie ihm ein paar ins Hemd stopfen.
»Hey! Ist das jetzt ein neues Spiel?«, fragte er, die Hand voller Blätter, mit schelmisch funkelnden Augen.
»Finn, warte … Du kannst sie doch einfach aus deinem Hemd schütteln, aber ich …« Doch er kannte keine Gnade. Mit einem Aufschrei rannte sie los Richtung Straße. Er holte sie jedoch gleich ein. Als er sie zu sich umdrehen wollte, stolperte sie, und sie landeten beide auf dem Boden mitten in einem Blätterhaufen. Unter Lachen und Protest versuchte Megan, ihn daran zu hindern, ihr Blätter in den Ausschnitt zu stopfen.
»Hör auf!«, sagte Finn plötzlich.
»Ich soll aufhören? Damit du mir die Reste einer ganzen Eiche in die Bluse stopfen kannst?«
»Nein, im Ernst, rühr dich nicht.«
»Glasscherben?«, fragte sie.
»Nein …«
»Was dann?« Sie begann, sich wieder zu winden.
»Kacke!«, verkündete er.
Sie blieb reglos liegen und starrte ihn an.
»Kacke einer dänischen Dogge, glaube ich«, erklärte er ernsthaft. »Ein Riesenhaufen. Beweg dich bloß nicht nach links.«
Sie drehte vorsichtig den Kopf. Er hatte nicht gelogen. Sie begann zu lachen. »Du meine Güte! Eigentlich hätten wir das riechen müssen!«
Er grinste. »Pass auf, pass bloß auf, bei jeder Bewegung«, sagte er mit seiner besten Geheimagentenstimme. »Ich hol dich da raus.«
Er wollte langsam aufstehen. Sie zog ihn noch einmal zu sich. Plötzlich war sie richtig betört von seinem Lächeln, von seinem Grübchen, von der Wärme, die von ihm ausging, von dem Wissen, wie sehr sie ihn liebte. Und wenn sie ihn so fühlte, seinen ganzen Körper, der sich gegen sie presste, merkte sie auch, wie sehr sie ihn begehrte.
»Kacke«, wiederholte er stirnrunzelnd.
Sie nickte. »Ich weiß. Und ich werde aufpassen. Ich dachte nur gerade … wir lassen uns von Mr Fallon nicht unsere Nächte verderben, oder?«
Er sah sie nachdenklich an. »Na ja … solange du deine Ekstase etwas zurückhaltender zum Ausdruck bringen kannst. Wenn Fallon dich noch mal schreien hört, hüpft er zu uns ins Bett, und bei der Vorstellung wird mir ganz anders. Dieser alte Narr kann Schmerz und Lust bestimmt nicht auseinanderhalten. Igitt. Wie auch immer – egal, wie unglaublich toll ich bin, du musst leise sein.«
Sie zwickte ihm in die Schulter. »Weißt du, du könntest mich auch völlig zum Verstummen bringen.«
»Nie im Leben«, spottete er.
»Hm, das wird sich noch zeigen. Kacke. Wir sollten jetzt aufstehen.«
Aber er rührte sich nicht. Er verschränkte seine Finger mit ihren und küsste sie. Sie waren verheiratet, sie hatten sich schon tausendmal geküsst. Aber dieser Kuss hatte etwas ganz besonders Erotisches und gleichzeitig auch etwas fast Schmerzhaftes, Verzweifeltes. Dennoch musste sie unwillkürlich daran denken, dass er wohl recht hatte – wenn sie im Hotel weitermachten, wo sie aufgehört hatten, würde sie kaum mehr an sich halten können.
Doch noch während sie daran dachte, wie sinnlich diese schlichte Geste war, erhob er sich plötzlich, zog sie mit sich hoch und begann, seine Kleidung zu säubern. »Eine öffentliche Grünanlage«, sagte er reumütig. »Ein Stadtpark, oder wie auch immer das hier heißt.«
Sie nickte. »Finn!«, sagte sie leise.
»Was ist?«
»Ich liebe dich!«
Sie dachte, jetzt käme eine Erwiderung in der Art von: »Ich liebe dich auch« oder: »Du weißt, dass ich dich auch liebe«, vielleicht auch nur: »Gleichfalls, Schätzchen« – irgendetwas in der Art.
Stattdessen blieb er lange stumm, und als er endlich etwas sagte, klang seine Stimme sehr tief, fast bebte sie.
»Ich würde für dich sterben«, erklärte er.
Plötzlich kam Wind auf. In der hereinbrechenden Dämmerung wirkten seine Augen smaragdgrün. Die Blätter schienen aufzusteigen und wieder zu Boden zu sinken, als ob sich die Elemente versammelt hätten, um ihr Gespräch zu belauschen. Trotz seiner Worte war ihr auf einmal eiskalt.
»Na ja, hoffen wir, dass es nie dazu kommen wird«, erwiderte sie betont locker. »Aber jetzt gehen wir besser gleich zu Morwenna. Tante Martha müssen wir heute auslassen, wir besuchen sie morgen. Wir sollten nach dem Armband suchen und dann zurück in unsere Pension, um uns für heute Abend fertig zu machen. Was meinst du?«
Er nickte und hielt ihr die Hand hin. Er ergriff nicht ihre Hand wie sonst, er reichte ihr nur die Hand und wartete
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