Das Erwachen
aufzuhalten.
Er richtete den Blick auf das jahrhundertealte Haus, inmitten so vieler anderer und dennoch allein auf der kleinen Anhöhe.
Sie hatten nicht daran gedacht, die Balkontüren zu schließen. Und obgleich er nichts sehen konnte, sah er trotzdem, und deshalb schloss er die Augen und dachte wieder an die Macht, die nun seine war. Alles würde in Erfüllung gehen, so wie Er es versprochen hatte. Alles fügte sich, alles, was nötig war, würde sich finden.
Die Zeit kam näher.
Einen Moment lang war er abgelenkt und spürte wieder die Macht in sich aufsteigen, dachte daran, was sie für ihn bedeuten könnte – daran, was er tun konnte … daran, was er zu gern tun würde …
Was er jetzt fühlte und vor seinem inneren Auge sah.
Aber er diente einer höheren Macht. Er durfte nicht wanken. Er durfte die Gier nicht zulassen, keine Lust und nichts, was über das bloße Staunen hinausging.
Denn er diente einer höheren Macht.
Und er war klug genug zu wissen, welche großzügigen Geschenke er bereits bekommen hatte, zusammen mit … der Angst.
Er würde dienen und dafür belohnt werden.
Noch einmal hob er den Blick zum Himmel, zum Mond, der blau schimmerte wie der Nebel zu seinen Füßen. Er reckte die Arme zu dem nachtschwarzen, aufgewühlten Himmel und sprach die Worte.
In seinem Traum lief er. Er spürte, wie seine Fußsohlen die Erde berührten, es war ein angenehmes Gefühl. Erde, ein wenig feucht, fruchtbar, kein Gras, keine Steine, keine Zweige, nur das Gefühl seiner nackten Füße auf der Erde. Es war ein seltsam erotisches Gefühl.
Umso mehr, als er die kühle Brise spürte, die sich wie eine Hülle um ihn zu legen schien. Er merkte, dass die Empfindung so stark war, weil er nackt war; jede Bewegung in dieser seltsamen Brise, auf der nackten Erde, war sinnlich.
Er hörte Geräusche. Erst dachte er, es sei die Luft, die ihn umwehte, ihn berührte. Aber dann erkannte er, dass es sich um leise, melodische Gesänge handelte. Sie kamen von der Gruppe, die ihn erwartete, und er wusste, dass sie ihn erwarteten, dass sie ihn anbeteten, dass sie bereit waren, vor ihm auf die Knie zu fallen. Es war erregend. Er spürte beim Gehen jeden Muskel und fühlte sich so stark und mächtig wie noch nie. Er spürte das Blut durch seine Adern strömen, er hörte den gleichmäßigen Klang seines Atems, seine Brust hob und senkte sich im Einklang mit seinen Schritten.
Sie waren dort, irgendwo vor ihm. Und sie sangen noch immer, es war ein Lobgesang auf ihn. Er kam näher, konnte sie aber noch nicht sehen, denn sie waren eingehüllt in das weiche blaue Netz des Nebels, der in dichten Schwaden über den Boden zog. Er war wunderschön, dick, weich … und dennoch schwelend, betörend, etwas unglaublich Aufregendes versprechend.
Er lief weiter. Etwas klammerte sich an seine Füße. Er konnte es nicht genau erkennen, doch es waren Frauen. Ihre Haut hatte einen blauen Schimmer, ihre Haare waren wild und lang. Sie küssten ihm die Füße, streichelten ihm beim Gehen die Waden. Doch es waren nicht die, die er wollte, er stieß sie von sich. Er schritt weiter, denn vor ihm war etwas, ein Altar war aufgebaut worden im Wald, und darauf lag die Antwort. Die quälerische Spannung löste sich auf. Dort erwartete ihn etwas, das er seit Ewigkeiten herbeisehnte.
Sein Verstand kämpfte dagegen an, denn eigentlich gab es nichts, was er unbedingt haben wollte. Er wusste, dass er alles hatte, was er wollte.
Nein. In seinem Hinterkopf flüsterte eine Stimme, dass es mehr gab, viel mehr. Er lief weiter, und durch den Nebel erblickte er eine bizarre Welt. Es waren Menschen dort, singende Menschen. Manche trugen seltsame Roben, darunter waren sie mehr oder weniger nackt. Dann sah er eine Ziege, nein, keine Ziege, einen Mann, ein Wesen halb Ziege, halb Mann. Der Kopf eines Menschen, aber mit Hörnern, und sein langes, eigenartiges Kinn verstärkte das Aussehen eines Satyrs. An langen, pelzbedeckten Armen hatte das Geschöpf gespaltene Hufe als Hände. Er fragte sich, ob dieses Wesen ihm etwas einflüsterte, seine Gedanken dazu brachte, hinter seinem bewussten Denken herumzuspuken. Er kam diesem Ziegenbock immer näher, doch dann wollte er sich abwenden, denn der Bock trieb es gerade mit einer Frau. So hässlich dieses Geschöpf war, die Frau vor ihm wand sich dennoch in höchster Ekstase, ihr Stöhnen übertönte die seltsamen Gesänge.
Näher …
Die Einladung lockte ihn. Und er ging weiter, vorbei an dem Ziegenbock und all den
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