Das Erwachen
werden, fast noch spätsommerlich.
Er kehrte ins Zimmer zurück, zögerte kurz, bevor er sich umsah. Aber nirgends regte sich etwas. Die Welt schien stillzustehen.
Plötzlich hörte er ein Geräusch und zuckte erschrocken zusammen. Dann lachte er über sich selbst – es war ein Automotor gewesen, ein Fehlstart.
Er schloss die Balkontüren. Doch während er sie sorgsam verriegelte, hatte er das seltsame Gefühl, dass es zu spät war.
Deshalb sah er sich noch einmal gründlich um, warf einen Blick in den Schrank, ins Bad, in die Dusche, sogar unters Bett.
Sie waren nach wie vor allein.
Trotzdem …
Er hatte das äußerst seltsame Gefühl, dass etwas in diesen Raum eingedrungen war. Etwas war hereingekommen, während sie schliefen. Er ärgerte sich, dass er die Türen offen gelassen hatte.
Und dennoch …
Wahrscheinlich hätte sich das, was hier eingedrungen war, von einer verschlossenen Tür wohl ohnehin nicht aufhalten lassen.
Er stöhnte auf, dann beschimpfte er sich laut.
»Schwachkopf! Idiot!«
Er schüttelte unwirsch den Kopf. Es wurde heller. Er warf einen Blick auf den Wecker. Auf der Kommode stand eine kleine Kaffeemaschine. Er trat ans Waschbecken, ließ Wasser in die Kanne laufen, legte einen Filter ein. Die Maschine brauchte nur wenige Sekunden, um vier Tassen Kaffee aufzubrühen.
Währenddessen durchwühlte er seine Reisetasche. Er rauchte nicht oft, aber an diesem Morgen wollte er eine Zigarette.
Er fand eine zerknüllte Schachtel, nahm eine Zigarette heraus und trat mit dem Kaffee und der Zigarette an die Balkontür.
Er zögerte, doch dann zwang er sich, die Türen aufzumachen und hinauszutreten. Dort setzte er sich auf einen kleinen Stuhl.
Die Sonne ging auf. Es war wundervoll.
Er zündete die Zigarette an, nippte an seinem Kaffee. Die Sonne stieg höher. Es war kein Sonnenaufgang wie im Süden, die Farben waren nicht so leuchtend blutrot und golden. Dennoch brach der neue Tag spektakulär an. Die sanften Grautöne wandelten sich zu einem Violett, und diese Farbe wurde immer weicher, bis sie in ein unglaublich schönes helles Blau überging.
Er schloss die Augen. Allmählich erwachte auch der Rest der Welt, Autotüren, Rufe, Gespräche drangen an sein Ohr, ganz so wie jeden Tag, ganz normal. Eine Mutter mahnte ihr Kind, das Pausenbrot nicht zu vergessen.
Er machte die Zigarette aus, leerte seine Kaffeetasse, ging wieder ins Zimmer, bereit, sich hinzulegen und noch ein paar Stunden zu schlafen, trotz des Kaffees. Der Traum hatte ihn endlich losgelassen. Es waren nur noch ein paar vage, verstreute Erinnerungsfetzen.
Dennoch …
Er achtete wieder sorgfältig darauf, die Balkontüren zu verriegeln.
Er hatte das meiste vergessen.
Dennoch blieb ein vages Gefühl.
Zu spät, zu spät, viel zu spät …
Das Böse ließ sich nicht aussperren.
Fluchend stellte er die Tasse weg und legte sich wieder neben Megan ins Bett. Seltsamerweise zögerte er abermals, als habe er ihr etwas angetan.
Behutsam nahm er sie in die Arme.
Sie wachte nicht richtig auf, rekelte sich aber wohlig in seiner Umarmung.
Ich liebe dich. Ich werde dich vor allem Bösen bewahren!, schwor er sich feierlich.
Doch plötzlich quälte ihn ein ganz anderer Gedanke.
Was ist, wenn ich in Wirklichkeit das Böse bin?
Endlich schlief er ein, und sein letzter Gedanke war sehr vernünftig und entschlossen.
Alles völliger Quatsch!
6
Megan erwachte gegen zehn. Finn, ein eher rastloser Geist, war meist schon vor ihr auf.
Nicht jedoch an diesem Morgen. Er schlief wie ein Stein. Tatsächlich kam er ihr fast reglos vor, sodass sie, von einer momentanen Angst getrieben, prüfte, ob er atmete. Ja, das tat er.
Sie zögerte kurz, dann berührte sie seine verletzte Hand. Irgendwann hatte er den Verband verloren, aber es hatte aufgehört zu bluten, und die Wunde sah nicht schlimm aus. Der Schnitt war zwar lästig, weil er direkt in der Handfläche verlief, aber es hatte sich bereits eine Kruste gebildet.
Sie wollte die Kaffeemaschine anschalten. Überrascht bemerkte sie einen Rest kalten Kaffee in der Kanne. Offenbar war Finn schon einmal aufgestanden und hatte sich dann wieder hingelegt. Koffein wirkte bei ihm kaum, wohl deshalb, weil er ohnehin sehr intensiv lebt, dachte sie.
Doch manchmal nahm seine Intensität seltsame Züge an …
Wie zum Beispiel gestern Nacht.
Mit neuer Sorge erfüllt, spülte sie die Kaffeekanne aus. Als sie sah, dass nur noch ein kleines Päckchen koffeinfreier Kaffee da war, schnitt sie eine
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