Das Erwachen
machen. Trinkst du einen Kaffee mit mir?«
»Klingt gut.«
Sie gingen gemeinsam hinaus auf die Hauptstraße, die ins Zentrum der touristischen Altstadt führte. Sie konnten sich nicht zwischen zwei Cafés entscheiden und warfen eine Münze. Beide hatten auf Kopf gesetzt und mussten lachen, weil sie vergessen hatten, für welches Café Kopf hätte stehen sollen. Eines lockte mit dem besten Mokka der Welt, also entschieden sie sich dafür.
Nachdem sie sich mit zwei großen Tassen Mokka mit Sahnehaube an einen Tisch gesetzt hatten, kamen sie rasch ins Plaudern. Er erzählte ihr, dass seine Mutter bald nach seinem Highschoolabschluss an Krebs gestorben war und sein Vater vor zwei Jahren an einem Herzinfarkt. »Ich glaube, er hat sie sehr vermisst«, meinte er. »Aber jetzt sind sie ja wieder vereint. Und wie geht es deinen Eltern?«
»Bestens, sie leben inzwischen in Maine«, erwiderte sie.
»Schön für sie. Übrigens läuft mir deine Tante Martha oft über den Weg. Sie ist so stur wie eh und je.«
»Stur?«, protestierte Megan.
Mike lachte. »Na ja, eigensinnig, wenn dir das lieber ist. Eigentlich habe ich sie ganz gern. Sie lässt sich nichts vormachen, sie ist ein durch und durch bodenständiger und praktischer Mensch. Du solltest mal an ein paar Gemeindeversammlungen teilnehmen. Die Wiccas regen sich oft schrecklich über die grünen Weiber auf ihren Besenstielen auf, mit denen hier manche Firmen Werbung machen. Dann meldet sich Martha zu Wort und erinnert sie daran, dass manche ihrer Mitmenschen an Halloween eben ihren Spaß haben möchten. Wir leben in einer typischen Kleinstadt, in der alle möglichen Typen vertreten sind. Und Martha ist immer die Stimme der Vernunft.«
»Das ist doch gut so.«
»Einmal wären sich Morwenna und sie fast in die Haare geraten.«
»Weshalb das denn?«
»Ach, es ging um einen albernen Aufkleber, den jemand verkaufen wollte. Zum Glück gab Morwenna nach und hat sich nicht auf Tante Martha gestürzt. Wer weiß, vielleicht hätte Martha sie umgehauen, sie ist recht beherzt.«
Megan lachte und rührte in ihrem Mokka. »Was ist eigentlich mit Andy Markham los?«
Mike zog eine Braue hoch. »Was soll mit ihm los sein? Er erzählt Geschichten, damit verdient er sich seinen Lebensunterhalt.«
»Er scheint sie zu glauben.«
»Hey, weißt du was? Die Leute hier können dich von fast allem überzeugen. Damit verdienen sie ihr Geld. Megan«, murmelte er plötzlich und legte die Hand auf die ihre. »Ich habe den Eindruck, dass du dir das alles zu sehr zu Herzen nimmst. Hör mal, du kommst doch aus dieser Gegend! Dieses Zeug hat es doch immer schon gegeben, das hast du doch sicher nicht vergessen, auch wenn du jetzt schon ein paar Jahre weg bist. Du solltest immer daran denken, dass es hier ganz toll sein kann. Es gibt nichts Schöneres als einen Herbst in Neuengland. Es ist schön, dass du hier bist, und ich habe noch nie erlebt, dass jemand hier so gut angekommen ist wie du und Finn. Genieße deinen Erfolg, koste ihn aus. Lass dich nicht von irgendwelchen Gruselgeschichten belästigen, sieh dir vor dem Zubettgehen lieber ein paar Quizsendungen an; selbst in Huntington House gibt es inzwischen bestimmt Kabelfernsehen. Oder Cartoonsendungen – nein, die vielleicht doch lieber nicht. Ich habe einmal geträumt, ich sei der Road Runner und würde verfolgt von Wily E. Coyote.«
Megan musste wieder lachen. Sie dachte daran, dass sie Mike schon immer sehr gern gehabt hatte, selbst wenn er manchmal schrecklich ernst und gelehrig daherkam. Aber er hatte auch eine ziemlich ironische Ader und fand fast an allem eine spaßige Seite.
Sie zögerte, dann gestand sie: »Mike, ich sage dir, meine Albträume waren so schrecklich, dass Finn schon vorgeschlagen hat, wir sollten alles hinwerfen und gehen.«
Er betrachtete sie nachdenklich, bevor er ihr antwortete. »Megan, wie ich schon sagte: Wir leben hier in einer Kleinstadt, jeder kennt jeden. Wir erinnern uns an die alten Familien und an die Vergangenheit. Du kommst aus dieser Gegend. Für manche Menschen ist dein Mann noch immer ein Konföderierter, ein Rebell, auf alle Fälle kein guter Yankee. Dich liebt man, ihn beäugt man misstrauisch. Aber ihr seid ein tolles Paar. Lasst euch nicht von anderen Leuten euer Leben vorschreiben oder etwas kaputt machen, was momentan toll läuft. Du hast vorhin die Kraft der Suggestion erwähnt. Ganz im Ernst: Wenn du vor dem Einschlafen darauf achtest, dass alles, was an suggestiven Kräften in dir und um
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