Das Erwachen
zuckte mit den Schultern. Dieser Beifall galt hauptsächlich ihm. Ihr Herz pochte seltsam stürmisch, und das ärgerte sie. Finn hatte in der Schule mehrmals Ärger bekommen, weil er in Schlägereien verwickelt war. Meist hatte ein anderer den Streit angefangen. Nachdem er einmal fast von der Schule verwiesen worden wäre, beschloss er, asiatische Kampfsportarten zu trainieren, denn dort lernte man nicht nur, sich zu verteidigen, sondern auch, sich zu beherrschen. Sie hatten auf dem College öfter darüber gesprochen, wenn sie gesehen hatte, wie ihr Mann in einer brenzligen Situation die Schultern straffte, sich abwandte und ging. Doch das hatte er heute Abend nicht getan.
Zu ihrer Überraschung war sie froh, dass Finn eingegriffen hatte, auch wenn ihr Stolz ihr ein wenig archaisch vorkam, so als habe sie den mächtigsten Mann im Stamm. Plötzlich musste sie an den Begriff ›heidnisch‹ denken.
Sie verdrängte dieses Gefühl. Der Vorfall war bedauerlich und merkwürdig gewesen. Martys Frau war ganz offensichtlich schwer getroffen, dass ihr Mann sich so danebenbenommen hatte. Es hatte sie so bestürzt, dass sie sich erst einmal mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte. Megan hatte nicht den Eindruck, dass sie zu den Leuten gehörte, die anderen ständig mit einem Prozess drohten. Sie hatte es bestimmt nur gesagt, weil sie in eine für sie unbegreifliche Lage geraten war.
»Hallo, liebe Gäste«, sagte Finn, während er dem Applaus Einhalt gebot. »Ich nehme mal an, wir müssen alle ein bisschen aufpassen bei so vielen Partys und überhaupt. Vor allem die von euch, die heute noch fahren müssen. Wir müssen aufpassen, was wir trinken, egal, wie wild die Nächte werden. Okay – der nächste Song geht auf eine mittelalterliche Liebesballade zurück. Er ist sehr romantisch und sehr traurig. Ich hoffe, er gefällt euch.«
Er blickte auf Megan. Er hatte die Reihenfolge des dritten Sets geändert. Sie nahm es achselzuckend zur Kenntnis. Es war ein langsames, trauriges, sehr melodiöses Lied, das sehr beruhigend wirkte. Sie nickte kaum merklich, stellte jedoch fest, dass sie es nicht schaffte, den Blick von ihm zu nehmen. Seine grünen Augen schienen im Scheinwerferlicht plötzlich seltsam golden zu schimmern. Merkwürdige Augen.
Wie die der schwarzen Katze, in denen sich die Wagenscheinwerfer gespiegelt hatten, als das Tier aus dem Gestrüpp auf sie gestarrt hatte, neulich, auf dem Heimweg von Tante Martha.
Das Licht im Raum war bizarr. Schwarzes Licht, dazu grelles Strobolight. Wahrscheinlich war diese merkwürdige Spiegelung ganz natürlich. Aber Finns Augenfarbe und das Funkeln wirkten seltsam hypnotisch und verführerisch. Sie musste ihren Blick regelrecht von ihm losreißen, um sich dem Publikum zuzuwenden.
Finn musste die ersten Akkorde zwei Mal spielen.
Doch dann lief es gut. Megan ging in der Melodie auf, und mit der Zeit wurde es immer stiller im Saal. Die Bedienungen blieben an den Tischen stehen, Gläser und Bestecke hörten auf zu klirren.
Ein wunderschönes Lied, das durch Finns Arrangement noch ergreifender wurde.
Als sie zum Ende kamen, gaben ihr seine Einsätze zu verstehen, dass sie nicht aufhören würden, um den Applaus entgegenzunehmen, sondern gleich mit dem nächsten Song weitermachten, zu dem man gut tanzen konnte.
Seine Entscheidung war gut. Mit seiner Musikwahl brachte er die Leute dazu, den Vorfall an der Bar zu vergessen.
Für Megan war der Rest des Abends trotzdem ein Albtraum. Gayle Sawyer wollte gar nicht mehr von ihnen weichen. Es stellte sich heraus, dass sie Morwenna und Joseph kannte, was in einer Kleinstadt nicht weiter überraschend war. Mike Smith war ebenfalls da, und in der Pause besorgte Morwenna einen größeren Tisch. Eine skurrile, grellgrün geschminkte kleine Frau in einem grünen Blumenkostüm gab sich als Sara zu erkennen. Sie gesellte sich ebenfalls zu ihnen. Auch andere Mitarbeiter von Morwenna waren hier, darunter Jamie, bei dem sich Megan an sich ganz wohlfühlte, fast als würde sie ihn schon lange kennen. Heute Abend trug er einen seltsamen braunen Umhang und hatte auch noch ein Henkersbeil aus Plastik dabei, das Megan viel zu echt vorkam. Als sie sich entschuldigte, um zur Toilette zu gehen, wurde sie an einem Tisch aufgehalten, und zwar von Brad und Mary, dem Paar, das auch in Huntington House logierte. Sie hatten für die Kinder einen Babysitter besorgt, da Sally und John ihnen gesagt hatten, dass sich der Abend hier wirklich lohnte.
Megan plauderte
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