Das Erwachen
hier wahrhaftig bitterkalt werden.«
»Aber der Winter hat auch seine schönen Seiten«, entgegnete Megan leise.
»Tja nun, da sitzen wir und plaudern, während dir bestimmt viel ernstere Sachen durch den Kopf gehen«, meinte Martha. Sie räusperte sich. »Megan, natürlich kannst du gerne hierbleiben, so lange du willst, das weißt du ja. Ich weiß zwar nicht, was dich hierhergeführt hat, aber ich werde dich auch nicht danach fragen. Du wirst es mir schon sagen, falls und wenn du dazu bereit bist. Aber eines will ich dir trotzdem sagen: Ich denke, dein junger Mann liebt dich sehr. Und eines darf man nicht vergessen: Wir haben hier ein paar sehr seltsame Verwandte. Du weißt ja, dass ich Morwennas sogenannte Religion nicht mag. Sie und ihr Zirkel sind manchmal sehr seltsam. Offenbar herrschen zwischen dir und Finn ein paar Spannungen, aber du musst zugeben, dass du ihm einiges zumutest, indem du ihn hierhergebracht hast.«
»Tante Martha, nicht ich habe ihn hierhergebracht, sondern Sam Tartans Angebot. Es geschah nicht auf meine Veranlassung hin. Und wenn meine Verwandten zum Hinduismus oder zum Buddhismus übergetreten wären oder sonst einer Religion, die in Amerika eher selten ist, hätten alle gemeint, dass sie das Recht dazu hätten. Soll ich mich etwa von Morwenna und Joseph fernhalten, weil manche Leute ihre Lehre für seltsam halten?«
»Natürlich nicht, Liebes. Aber andere Leute halten die Wiccas vielleicht für … Ach, ich weiß auch nicht. Es liegt momentan so viel Suggestives in der Luft – Dämonen und Kobolde, all der Halloween-Klamauk. Und dazu kommt noch all das, was früher hier passiert ist – die armen Opfer des Hexenwahns, der Glaube an den Teufel und der ganze Unfug, der damals hier veranstaltet wurde. Ihr seid zwei sehr vernünftige junge Leute, ihr habt euer Leben fest im Griff. Ihr solltet euch all diesen Quatsch nicht so zu Herzen nehmen!«
Das war in etwa dasselbe, was Mike zu ihr gesagt hatte. Aber weder Mike noch Martha wussten, was vorgefallen war. Und sie wollte es ihnen nicht erklären, weil sie nicht wusste, ob das, was sie sah, real war. Denn eigentlich war es unmöglich. Und außerdem wollte sie nicht herausfinden, dass sie eigentlich in eine Irrenanstalt gehörte, weil sie halb verrückt war und so empfänglich für Suggestionen und Einbildungen, dass sie den Verstand verlor.
Und dazu auch noch Finn.
Aber mit Finn passierte definitiv irgendetwas. Es sah wirklich danach aus, als würde er der Kraft der Suggestion erliegen, obwohl sie nicht wusste, um welche Suggestion es bei ihm ging. Er veränderte sich eindeutig, und diese Veränderungen manifestierten sich nachts, in dem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Sie wusste nur nicht, ob es seine oder ihre Träume waren …
Oder ob es überhaupt real war, ob er sich wirklich in ein anderes Wesen verwandelte, einen Dämon mit rot glühenden Augen, mit Händen, die eher nötigten als liebkosten, die sie grausam, nicht verführerisch berührten.
Oder hatte Andy Markham ihr Flausen in den Kopf gesetzt, dass sie allmählich glaubte, ihr Mann sei ein Ungeheuer? War sie verrückt?
Sie wusste es nicht. Nur eines wusste sie ganz sicher: In einem Zustand, der ihr wie die Wirklichkeit vorkam, war sie aufgewacht und hatte geglaubt, dass sie den Albtraum, den sie in ihrer ersten Nacht in Salem gehabt hatte, wirklich durchlebte; dass Finn sie bedrohte, bereit war, sie zu erdrosseln, nachdem er sie missbraucht hatte, und sie dann achtlos wegzuwerfen. Sie hatte es in seinen Augen gesehen, in denen sie nichts Grünes mehr entdeckt hatte, nur noch Rot und Gelb, das so hell loderte wie das Feuer der Hölle.
Verrückt, das klang alles völlig verrückt. Aber ihre Angst vor ihm war jetzt sehr real.
»Megan, du liebst diesen jungen Mann doch. Ich schlage vor, ihr steht jetzt Euer Engagement durch und seht zu, dass ihr danach schleunigst heimfahrt und eine Eheberatung aufsucht«, erklärte Martha. »Ich meine, eure Arbeit hier ist euch doch beiden wichtig, oder?«
»Auf alle Fälle«, erwiderte Megan. »Ach, Tante Martha, ich habe ja nicht vor, nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Es ist nur so, dass …« Sie wollte Martha nicht sagen, dass sich die seltsamen Vorfälle eigentlich immer nur nachts zutrugen. »Ich brauche einfach ein bisschen Abstand in der Zeit, in der wir nicht arbeiten.«
»Hm. Aber pass auf dich auf, wenn du allein spätnachts aus dem Hotel kommst, Megan. Leider treiben sich auf unserem Planeten ziemlich viele Wahnsinnige
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