Das Erwachen
Unwesen getrieben haben, vor etlichen Jahrhunderten.«
»Und sie sind nicht auf dem Scheiterhaufen gelandet?«
»Hier ist niemand auf dem Scheiterhaufen gelandet, Finn. Sie wurden gehängt, und Giles Corey wurde unter schweren Steinen erdrückt. Natürlich wurden in den Kolonien auch andere wegen Hexerei hingerichtet, aber der sogenannte Wahn bezieht sich immer auf damals, als hier …«
»Das weiß ich alles, Morwenna«, unterbrach er sie. »Aber wie sollten denn Satanisten ausgerechnet hier ihr Unwesen getrieben haben in einer Zeit, in der alle möglichen Leute aufgrund ›übersinnlicher‹ Indizien und anderer fadenscheiniger Vorwürfe verhaftet wurden?«
»Das war genau die richtige Zeit, verstehst du das denn nicht? Die Menschen waren entsetzt über das, was kurz zuvor in ihrer Mitte geschehen war. Niemand hätte damals daran gedacht, jemanden erneut öffentlich der Hexerei zu bezichtigen. Die Menschen schämten sich, viele waren richtig verstört. Wenn damals also etwas in dieser Richtung vorgefallen ist … na ja, Eddie zufolge haben die Leute, die davon wussten, die Angelegenheit selbst in die Hand genommen. Aus diesem Grund taucht in den meisten Geschichtsbüchern nichts davon auf.«
Er zuckte zusammen, als jemand hinter ihm leise fragte: »Sie hat dich also verlassen?«
Er wirbelte herum. Sara natürlich, wer sonst.
»Meine Beziehung zu meiner Frau geht dich einen feuchten Kehricht an.«
»Wir versuchen doch nur, dir zu helfen. Auch wenn ich nicht weiß, warum.«
»Ich glaube nicht, dass ich ausgerechnet von dir Hilfe brauche. Mir wäre schon viel geholfen, wenn die Leute aufhörten, Megan Geschichten zu erzählen, die schreckliche Träume auslösen.«
»Finn, ich weiß, du glaubst nicht an … an uns«, meinte Morwenna. »Du wehrst dich mit Händen und Füßen dagegen, zu glauben, dass es auf dieser Welt etwas gibt, das du nicht berühren und auch nicht verstehen kannst.«
Finn trat wütend zu dem Regal mit den Kräutern. »Wenn ich das hier mit mir herumtrage, dann werde ich reich? Und wenn ich dieses Räucherstäbchen abbrenne, wird sich mein Liebesleben verbessern? Nein, tut mir leid, daran glaube ich nicht. Soll ich einen Baum anbeten? Weißt du, woran ich glaube? Ich glaube, dass es einen Gott gibt, eine oberste Macht. Und …«
»Wenn es einen Gott gibt, den Einen Gott, eine oberste Macht, was gibt es sonst noch, Finn? Einen Gott, Engel, vielleicht auch einen Engel, der aus dem Himmel verstoßen wurde. Mächte des Guten und Mächte des Bösen. Hast du jemals das Alte Testament gelesen? Wirklich gelesen? Steht dort nicht, dass ein Engel zu Maria gekommen ist und zu ihr gesprochen hat? Wenn du daran glaubst, Finn, dann musst du auch zulassen, dass es Mächte des Guten und des Bösen gibt.«
»Warum verhaften wir dann nicht einfach wieder alle möglichen Leute, wenn es die guten und die bösen Mächte gibt?«, konterte er.
»Dem Mann kann nicht geholfen werden«, meinte Sara.
Finn zögerte. Die Frauen sahen ihn ernst an. Aber Sara wirkte auch wieder seltsam angespannt, als ob sie ihn verachten würde, gleichzeitig jedoch kaum die Hände von ihm lassen könnte. Und bei Gott, auch er fühlte diese Spannung. Er biss die Zähne zusammen. Jeder Muskel seines Körpers war schmerzhaft angespannt. Er musste diesen Laden unbedingt verlassen und sich möglichst weit entfernen.
Er blickte auf Morwenna, die ihn eindringlich musterte. Mächte des Guten und des Bösen … Willst du mir wirklich helfen, oder willst du meinen Sargdeckel zunageln? Bemühst du dich nach Kräften, Megan dazu zu bringen, sich von mir fernzuhalten?
»Finn, du solltest mit mir zusammen bei Eddie vorbeischauen. Komm einfach mit und sieh dir ein paar von seinen Büchern an.«
Er musste aus dem Laden hinaus. Er konnte den Blick nicht von Saras Ausschnitt wenden. Wenn sie jetzt allein wären …
Er wollte sich auf sie stürzen, sie zu Boden reißen, grob und brutal. Er wollte ihren grellrot geschminkten Mund schmecken, ihr die Kleider vom Leib reißen, sie auf den harten Boden oder an die Wand drücken und ungestüm in sie eindringen …
Und gleichzeitig wollte er seine Frau wiederhaben.
Er musste hinaus. Unbedingt. Er war ein Narr. Morwenna war nicht zu trauen.
Jeden bizarren Drang niederzukämpfen, der von ihm Besitz ergriffen hatte, kostete ihn so viel Kraft, dass er kaum reden oder sich rühren konnte. »Danke, Morwenna«, murmelte er schließlich. »Ich schaue später noch mal vorbei. Vielleicht besuchen wir dann
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