Das Erwachen
glauben und Tote aus ihren unheiligen Gräbern auferstehen lassen wollen; Leute, die die dunklen Winde des Bösen freisetzen wollen, um die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen.«
Sie richtete sich auf. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. »Finn, Salem ist heute ein hübscher Ort. Hier leben Leute, die sich über Hexerei lustig machen, aber auch solche, die ihre Wicca-Lehre für eine echte Religion halten. Es gibt putzige Läden, die nicht schlecht von der Geschichte leben, und tolle Restaurants, bei denen die Geschichte keine Rolle spielt. Es ist traurig, aber wahr – die Menschen, die hier früher verfolgt wurden, haben bestimmt nicht die Verbrechen begangen, die man ihnen zuschrieb. Aber weißt du was: Es gab immer Leute – und vielleicht gibt es sie auch heute noch –, die an Hexerei glaubten, oder vielleicht nicht an Hexerei, sondern an Satanismus oder wie man das auch immer nennen will. Und diese Leute begehen schlimme Verbrechen im Namen ihres Glaubens. Verflixt noch mal, Finn, denk doch mal darüber nach! Gibt es dort draußen auch heute noch schlechte Menschen? Natürlich, davon bin ich felsenfest überzeugt. Also habe ich mir Geschichten angehört, die vom Bösen in den Herzen der Menschen handeln und über Menschen, die an die Mächte der Finsternis glauben, und von seltsamen Dingen, die nachts passieren; und dann habe ich einen schlimmen Traum gehabt. Ist das denn so unverständlich oder unverzeihlich?«
Er legte sich wieder hin und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Und du hast eine Cousine, die einen Laden mit Hexenartikeln hat.«
»Morwenna ist nicht böse.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Dem Wicca-Kult anzuhängen ist heute völlig legal. Im siebzehnten Jahrhundert war Hexerei illegal.«
»Stimmt.«
»Morwenna glaubt an die Erde und an die Natur. Sie glaubt daran, dass man seinen Mitmenschen Gutes tun soll, vor allem, weil jeder böse Gedanke und jede böse Tat dreifach auf einen Wicca zurückfällt.«
»Und ihr einschüchternd großer, dunkler, unheimlicher, handlesender Ehemann Joseph ist eine verdammte Stütze der Gesellschaft?«, fragte er sarkastisch.
»Warum streiten wir uns über meine Cousine und ihren Mann?«, gab sie ziemlich verzweifelt zurück.
»Weil ich allmählich glaube, dass es ein großer Fehler war, hierherzukommen«, erwiderte er.
»Du wolltest es«, erinnerte sie ihn barsch. »Du meintest, es sei wichtig für deine Karriere.«
»Ich dachte nicht, dass du nach Hause kommst und zu einer kreischenden Harpyie wirst.«
Sie drehte ihm wieder den Rücken zu, so gekränkt, dass sie gar nicht wusste, wie sie es ihm sagen sollte. Ein Fehler? War alles ein Fehler gewesen?
Sie hatte sich auf den ersten Blick in Finn verliebt, gleich an ihrem ersten Tag auf dem College. Noch nie war sie so verliebt gewesen. Sie hatte ihn geradezu schamlos verfolgt. Doch das war in Ordnung gewesen, denn er war genauso in sie verliebt. Nach wenigen Tagen dachte sie kaum noch ans Studium, sie war nur noch von dem Bestreben, ja von richtiger Verzweiflung erfüllt, mit ihm zusammen zu sein. Immer wieder hatten sie ihre Freunde versetzt, um die kostbare Zeit gemeinsam zu verbringen. Am Anfang hatte es keine Meinungsverschiedenheiten gegeben. Na ja, eigentlich redeten sie zu wenig, um sich zu streiten; sie wollten nichts weiter, als sich zu berühren, als nackt und eng umschlungen dazuliegen, als sich zu lieben. Das Feuer der Leidenschaft war so stark gewesen, dass sie jeden Rat in den Wind geschlagen und schnell geheiratet hatten. Im engsten Familien- und Freundeskreis waren sie in einem kleinen Ort in Georgia getraut worden. Ein paar Jahre hatten sie in der Glückseligkeit der Jungen und Unschuldigen gelebt. Finn schloss sein Studium ab, die Stipendien und die studentischen Arbeitsmöglichkeiten versiegten. Megan hatte noch zwei Jahre vor sich. Das Geld wurde knapp, Musikzubehör war teuer. Sie begannen zu streiten. Womit ließ sich Geld verdienen und womit nicht? Was war gut, was nicht? Die Unterschiede zwischen ihnen, die anfangs nur den Reiz erhöht hatten, wurden zu Reibungspunkten. Megan hatte immer irgendwelche Vorahnungen und Eingebungen, er war durch und durch nüchtern. Sie stammte aus Massachusetts, und abgesehen von ihrer anfänglichen, vorbehaltlosen Bewunderung für ihn neigte sie wie die meisten Leute aus Neuengland eher zur Zurückhaltung. Finn stammte aus dem tiefen Süden, er war stets bereit, sich auf Abenteuer einzulassen und
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