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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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mit den Schultern. »Natürlich führen sie auch Krieg. Und wenn man davon ausgeht, dass die meisten Männer feige sind, dann führen sie immer nur den Krieg, den sie auch gewinnen können. Den gegen uns. Seit Jahrhunderten. Aus Tradition und weil wir es ihnen leicht machen. Sie bestimmen den Schauplatz und die Wahl der Waffen. Zumindest hat es meiner so getan. Und es waren fiese Waffen, und es waren ebenso fiese Schauplätze, die er mir aufgenötigt hat.«
    Über den Uferweg schlenderten sie in Richtung der zweiten Saarbrücke und der Umgehungsstraße. Sie waren so vertieft, dass sie die renovierten alten Häuser rechts von ihnen, die am Fels und an der ehemaligen Stadtmauer klebten, keines Blickes würdigten. Genau so wenig nahmen sie auf der linken Seite das Postkartenpanorama wahr: die von der Sonne angestrahlte Burg, das Wahrzeichen der Stadt, umrahmt von Weinbergen.
    Sie setzten sich auf eine Bank. Sarah war erstaunt, weil sie den Vorschlag Carmens angenommen hatte und mitgegangen war. Noch mehr erstaunt war sie jedoch darüber, dass sie Sympathie empfand für die fast gleichaltrige Frau. Aber sich ihr gegenüber öffnen, von ihren innersten Empfindungen erzählen, das würde sie nie. Zu niemandem würde sie das, denn nur sie allein ging das alles an. Nur sie allein. Unfähigkeit braucht keine Zeugen. Schande auch nicht.
    »Wie alt schätzen Sie mich?«
    »Vielleicht Anfang dreißig«, antwortete Sarah.
    »Vielen Dank. Ich werde vierzig in vier Monaten. Aber noch vor ein paar Jahren sah ich aus wie fünfzig. Ich ließ mich gehen, schminkte mich, wenn überhaupt, nur noch notdürftig, ging kaum zum Friseur und noch weniger in ein Geschäft zum Einkaufen. Und ich gefiel mir in der Position der Leidenden – was kein Außenstehender verstand –, die alles Leid der Welt zu tragen hatte. Meine Haltung war leidend, mein Gesichtsausdruck, einfach alles. Für mich war es ein Kompliment, wenn jemand fragte, ob ich mich nicht wohl fühle oder lapidar feststellte, ich sähe nicht gut aus. Ich will nicht leugnen, dass auch ich ein Großteil Schuld am Zerbrechen meiner Ehe hatte. Weil mir die Kraft fehlte. Und die Perspektive.«
    Carmen schlug die Beine übereinander. Schöne Beine hatte sie, musste Sarah neidlos zugeben. Schlanke Fesseln, einen zierlichen Fuß, höchstens Schuhgröße siebenunddreißig und wohlgeformte Waden.
    »Mein Sohn ist zwölf, meine Tochter wird in zwei Monaten neun Jahre alt. Für mich war bis vor acht Jahren das Glück perfekt. Mein Mann, gleichfalls Arzt, umsorgte mich und las mir, wie man so schön sagt, am Anfang jeden Wunsch von den Augen ab. Zumindest jeden, den wir uns seinerzeit leisten konnten. Und das war schon einiges, denn wir verdienten gut und hatten ein schickes und teures Haus. Ich lernte im Urlaub die Seychellen kennen, Mauritius und Singapur. Ein Wochenende in Paris, dann wieder eines an der belgischen Nordsee oder nach Hamburg zu Cats und Phantom der Oper. Wir hatten einen großen Bekanntenkreis und so ungemein viele Freunde. Überall nur Freunde. Wenn es Ihnen gut geht, können Sie sie kaum zählen. Aber im Grunde genommen sind die meisten doch nur Schmarotzer.
    Irgendwann kam ich dahinter, dass mein Mann mich schon seit geraumer Zeit betrog. Gut, nach der Geburt unserer Tochter hatte ich einige Kilogramm zu viel und wir schliefen nicht mehr so häufig miteinander, aber ich habe nichts vermisst. Das war eben Familie, das war Ehe-Alltag. Und er betrog mich nicht nur einmal, sondern permanent. Für eine seiner Gespielinnen hat er sogar in Trier ein Apartment angemietet. Stellen Sie sich mal vor: Er gab mir in der Mittagspause einen Kuss, wir arbeiteten am gleichen Krankenhaus, sagte, er gehe essen und verschwand bei ihr. Habe ich ihn gefragt, was er denn gegessen habe, dann erzählte er mir alles haarklein und schwärmte von der …, der Pasta oder sonst was. Nie und nimmer kam mir ein Verdacht. Und was mich am meisten gekränkt hat, ich kannte sie gut, meine Rivalin, ich sah sie fast jeden Tag. Sie war Krankenschwester auf seiner Station.«
    Carmen griff in ihre Handtasche und zündete sich eine Zigarette an.
    »O, Pardon.« Sie hielt Sarah das Päckchen hin.
    »Nein.«
    »Haben Sie kein Laster?«
    Und als Sarah nicht antwortete: »Bei mir kam irgendwann der Alkohol. Trinken Sie auch?«
    Sarah, die unweigerlich zusammenzuckte, überspielte die Situation, indem sie auf einen wie aus einem Prospekt entsprungenen Radfahrer deutete, gekleidet mit allen Sicherheitsattributen, wie sie

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