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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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zu viel von sich selbst preisgegeben hatte. Noch meinte sie, die Zeit sei nicht gekommen, um mit Sarah über solch intime Dinge zu reden, die allein sie betrafen und somit auch nur sie berührten. Außerdem war sie unsicher, wie ihre Beichte auf Sarah gewirkt hatte. Erkannte Sarah sie als Vertrauensbeweis, als ein Gespräch unter Frauen, um eine stetige Belastung einmal deutlich auszusprechen, oder hatte sie Sarah damit überfordert, ihr zu den eigenen Problemen noch eines von sich aufgehalst?
    Sarah rief am Nachmittag an und meinte, man könne doch einen Kaffee trinken und etwas plaudern. Carmen spürte die Erleichterung, weil sie dachte, Sarah würde sich möglicherweise in den kommenden Tagen von ihr fernhalten.
    Zwei Stunden später begrüßten sie sich so unbefangen, als hätte es die gestrige Offenbarung nicht gegeben. Sarah entschuldigte sich, sie müsse sich noch umziehen.
    Carmen ging auf die Terrasse und schaute hinunter auf ein großes weißes Fahrgastschiff mit Promenadendeck, das gerade angelegt hatte. Touristen strömten zielstrebig an Land. Auch heute würden sie die zwei Stunden Aufenthalt nutzen zu einem typischen Stadtrundgang. Zuerst die Burg, dann die Graf-Siegfried-Straße, die einzige Einkaufsstraße, danach zum Wasserfall und durch die Altstadt an der Saar entlang zurück zum Schiff. Alles in zwei Stunden zu erledigen, einschließlich eines Kännchen Kaffees und eines Stück Kuchens.
    Sarah stand in der Tür, gekleidet in ein körperbetontes, dunkelblaues Kostüm und eine fahlgelbe Bluse. Sie hatte die Hände auf die Hüften aufgestützt. »Na, wie gefalle ich dir?«
    Carmen zuckte zusammen.
    »Entschuldige bitte, so war es nicht gemeint.« Sarahs Gesicht hatte sich gerötet. »Ist mir so rausgerutscht.« Sie stellte sich vor Carmen und schaute sie lange an. »Ich kann mir vorstellen, wie aufgewühlt du bist. Was du mir gestern erzählt hast, ist für mich ein Kompliment. Weil du mir vertraust. Und ich werde dein Vertrauen nicht missbrauchen.«
    Carmens Augen bedankten sich. Als wolle sie ihre Verlegenheit kaschieren, fragte sie: »Wie wäre es mit einem Kaffee? Hast du auch ein Stück Kuchen im Haus?«
    Sarah legte erschrocken eine Hand auf den Mund. »Entschuldige, das habe ich total vergessen. Der Kaffee ist längst fertig. Und Kuchen gibt es auch.«
    Während Sarah den Tisch deckte, sagte Carmen: »Bevor ich es vergesse, am Wochenende möchte ich dir einen Mann vorstellen. Im Vergleich zu Henry fällt er ganz aus der Art.«
    Sarah versteifte sich, alles an ihr war Ablehnung. »Von Männern habe ich genug. Sie können mich mal.« Das klang deutlich und entschieden und spiegelte ihre momentane Auffassung wieder. Aber die flüchtige Erinnerung an ihre Reise nach Südafrika und an Enrique Pasquada strafte sie Lügen. Von ihm, war Sarah überzeugt, hätte sie noch nicht genug.
    »Nun, ich würde ihn gerne für mich abzweigen, aber er möchte unbedingt mit dir bekannt gemacht werden. Was heißt bekannt gemacht werden, ihr kennt euch bereits.«
    Aber so sehr Sarah auch drängte, Carmen möge ihr bitte mitteilen, wer es denn sei, die Ärztin schmunzelte und schwieg.
    Nachdem sie Kaffee getrunken und Carmen wieder einmal, wie sie betonte, zu viel Kuchen gegessen hatte, stellte sie, während Sarah abräumte, den CD-Player an. Musik, die, wenn man der Werbung glaubte, Millionen bewegte, bewegte die beiden Frauen jedoch nicht. Carmen suchte eine andere CD und entdeckte die Kassetten.
    »Sarah, Buddy Holly«, las sie vor. »Und Elvis. Und Fats Domino. Sind die von dir?«
    »Nein.«
    Carmen wollte Elvis hören, aber im Fach lag noch eine Kassette von den Beach Boys.
    »Mal schauen, welchen Geschmack dein verdammter Henry hatte«, meinte sie und schaltete das Gerät ein.
    Aber es kam keine Musik. Eine Stimme war zu hören, die nicht in ein Mikrofon sprach, sondern irgendwo in den Raum. Deshalb klang sie gedämpft, undeutlich, und es waren störende Nebengeräusche auf dem Band.
    »Ist das nicht Henry?«, fragte Carmen.
    Sarah stand in der Tür zum Esszimmer. »Pscht. Lass uns doch mal hören.«
    »Sprich doch endlich zu mir. Wie lange soll ich denn noch warten. Ober muss ich zuerst wieder eine Geschichte erzählen?« Trommeln erklang, als wenn jemand gegen einen Karton klopfte.
    Und jetzt etwas ungeduldiger: »Sprich mit mir. Sei nicht so wie mein Papa, der nie mit mir gesprochen hat. Außer wenn er schimpfte. Sonst hat er nie etwas gesagt. Immer nur gelesen und vor sich hingestarrt und Zahlen verglichen.

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