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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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etwas im Haus gefunden hätten, was eventuell von Bedeutung sein könnte.
    »Nein. Aber ich habe auch nicht weiter gesucht«, antwortete Sarah. »Was hätte ich denn noch finden können?«
    Ludevik zuckte mit der Schulter. Er wusste es nicht.
    »Oder anders gefragt: Gibt es aus deiner Sicht als Psychologe noch Unklarheiten, die beseitigt werden müssten? Wartest du noch auf spezielle Details, auf Wendungen und Ereignisse?«
    »Nein.« Ludevik verstärkte das Nein mit Kopfschütteln und vermittelte den Eindruck, als sei für ihn alles geklärt. Im Gegensatz dazu stand jedoch seine Frage. Hoffte er denn, sich durch weitere Indizien bestätigt zu sehen, überlegte Sarah. Und wenn er sich bestätigt sehen will, dann hat er, im Gegensatz zu unserem letzten Treffen, heute vielleicht eine dezidierte Meinung über Henry. Über dessen Verhaltensmuster und über mögliche Ursachen. Will er uns dies heute mitteilen? So eine Art Zustandsbericht?
    Nach einer Weile räusperte sich Ludevik. Die beiden Frauen schauten ihn an. Er wirkte unschlüssig und unruhig zugleich, seine Augen irrten zwischen ihnen hin und her, um schließlich einen Punkt an der Wand zu fixieren.
    »Sie haben doch etwas«, stellte Carmen fest. »Was bedrückt sie so?«
    Ludevik zuckte mit der Schulter, nahm umständlich seine Brille ab und begann, sie akribisch zu reinigen. Wiederholt begutachtete er gegen das Licht die Gläser. Genau so umständlich setzte er sie wieder auf und verrückte sie mehrfach, bis sie richtig saß.
    »Wenn es um Henry geht, haben wir …« Carmen verbesserte sich sofort, »… hat Sarah da nicht das Recht, alles zu erfahren? Auch die unbedeutendste Kleinigkeit?«
    Ludevik nickte. »Ja, dieses Recht hat sie.«
    »Nun, dann los. Oder soll ich mich vielleicht besser vorher verabschieden?«
    »Nein, wenn es Sarah nicht stört.« Ludevik schaute sie erneut an und schien abzuwägen. Innerlich focht er einen Kampf, wie er sich verhalten, was er sagen sollte und durfte.
    »Natürlich haben sie ein Recht, auch Sie, Frau Sigallas, aber es ist nicht so leicht, über Dinge zu sprechen, die man im Vertrauen erzählt bekommen hat, die sehr intim sind, zwar schon viele Jahre zurückliegen, aber wirklich sehr, sehr intim sind. Und die mit Sicherheit dazu beigetragen haben, dass sich Henrys Persönlichkeitsgefüge so entwickelt hat. Die sozusagen Meilensteine und Wegweiser für sein späteres Verhalten sind und vieles, vielleicht sogar alles erklären.«
    Sarah und Carmen gaben Ludevik Zeit, sich zu sammeln und sich zu einer Entscheidung durchzuringen.
    Unvermittelt stand der Psychologe auf, ruckartig und entschlossen, als könne nichts auf der Welt ihn abhalten, schnappte sich eine Akte aus dem Regal, setzte sich wieder und begann zu lesen und zu blättern. Mehr als zehn Minuten vergaß er seine Umwelt und seine Besucherinnen.
    Ludevik schob wieder einmal die Brille zurecht, hob langsam den Kopf, hatte seinen zweiten innerlichen Kampf beendet und orientierte sich in dem Zimmer, ohne etwas zu registrieren. Erneut stand er auf, nun jedoch langsam, zögerlich, als benötige er noch Zeit, seine letzte, seine endgültige Entscheidung zu überdenken. Mit kleinen Schritten ging er umher, den Kopf gesenkt und die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
    »Was Sie nun zu hören und zu sehen bekommen, mit Henrys Einwilligung habe ich unser Gespräch auch gefilmt, hat Henry in der letzten Sitzung am Nachmittag vor seiner angeblichen Abreise in den Urlaub zu mir gesagt. Ich habe ihn zu Hause aufgesucht. In dem Gespräch davor erzählte er von seinem Hund, den er dressierte. Und der dann plötzlich verschwunden war. Von seinem Vater erschossen. Henry hat auf meine Frage, was sein Vater mit dem Hund gemacht habe, geantwortet: Er hat mich erschossen. Sie erinnern sich?« Ludevik blieb stehen und sah die Frauen an.
    Sarah und Carmen antworteten fast gleichzeitig mit »Ja«. Henrys Worte hatten sie seltsam berührt.
    »Ich musste es tun. Ich musste ihn noch unbedingt vor seinem Urlaub sprechen. Noch waren seine Erinnerungen frisch, noch war seine Bereitschaft, mit mir zusammenzuarbeiten, vorhanden.« Ludevik ließ sich in einen Sessel fallen, nahm sofort eine zusammengesunkene Haltung ein, als fühle er sich wegen seiner Vorgehensweise schuldig. Hatte er so schlimme Dinge erfahren, die ihm erspart geblieben wären, falls er nicht zu Henry gegangen wäre? So zumindest kam es den Frauen vor.
    »Henry öffnete sofort die Tür, nachdem ich geklingelt hatte. Aber es

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