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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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sind. Aber über diesen Punkt haben wir ja schon ausführlich gesprochen.«
    »Von Berufswegen akzeptiere ich Ihre Darlegungen«, meinte Carmen. »Man kann ja alles so schön erklären, so wohl gewählt und wissenschaftlich verbrämt. Ihre Erklärungen sind schlüssig. Aber als Freundin von Sarah bleibe ich dabei, der Kerl ist irre und hat einen gewaltigen Knall.«
    »Bedenken Sie bitte Folgendes«, entgegnete Ludevik. »Ausgerechnet das Kindermädchen Walli hat ihm eine Art von Gefühl gezeigt, an das er sich geklammert hat. Weil er sonst keines kannte, seine Eltern ihm keine Liebe zeigen konnten. Walli hat das Defizit auf ihre Art ausgefüllt.«
    »Und den Jungen für immer kaputt gemacht.« Carmen schüttelte sich. »Andere mussten es später ausbaden.« Sie warf einen Blick zu Sarah, die in sich gekehrt in einem Sessel saß und nicht reagierte.
    »Sarah musste alles ausbaden. An ihr hat er seine krankhaften Verhaltensweisen ausgelebt. Sie ist bestraft worden für das, was Walli mit ihm getan hat.«
    »Oder was seine Eltern – im übertragenen Sinne – nicht mit ihm getan haben«, korrigierte Ludevik. »Ihn in den Arm zu nehmen, ihm einen Kuss zu geben. Ihm zu zeigen, dass sie ihr Kind Henry mochten.«
    Carmen ließ diese Erklärung im Raum stehen und fragte den Psychologen: »Aus welchem Grund sind Sie auf das Kindermädchen gekommen? Haben in ihr möglicherweise Henrys Hauptproblem gesehen? Wegen der damaligen Situation, als Henry den Hund dressierte, sie daneben auf einer Decke lag? Wegen der Bemerkungen über Schminken, schöne Kleider und das er sehr fein angezogen sei?«
    Anerkennend nickte Ludevik. »Sie haben ein gutes Gedächtnis und ein Gespür für das Wesentliche. Und dass seine Eltern übers Wochenende verreist waren und es mir schien, als nähme das Kindermädchen die Position von Henrys Mutter ein. Sie hat sich meiner Meinung nach wie die Hausherrin aufgeführt.
    Aber der entscheidende Impuls waren die Kleider in dem Karton gewesen, den Sie aus der Garage gebracht haben. Wallis Kleider, die sie ihm angezogen hat. Mein Puzzle war fertig, nur wusste ich es noch nicht.«
    In der drauffolgenden Woche trat etwas ein, was Sarah innerlich jauchzen und juchzen ließ und ihr unvergessliche Momente der Zufriedenheit verschaffte. Sie wurde zu einem Notar in Merzig gebeten, der ihr eröffnete, mit ihr einige Dinge besprechen zu wollen.
    »Ich habe von Ihrem Mann den Auftrag, Ihnen einige Verfügungen und Erklärungen abzugeben, die er hier bei mir vor Zeugen gemacht hat. Zugegeben, mich haben die Umstände auch etwas erstaunt, aber die notariellen Akte sind nun mal unwiderruflich gemacht worden.«
    »Wann war mein Mann bei Ihnen gewesen?«
    »Vor etwa vier Wochen, am 4. Mai.«
    Eine halbe Stunde später war alles erledigt.
    »Würden Sie bitte hier den Erhalt der Verfügungen und Erklärungen quittieren?«
    Sarah, die eine innere Unruhe verspürte, unterschrieb, ging, sich zur Ruhe zwingend hinaus, setzte sich ins Auto, fuhr schneller als erlaubt nach Saarburg und eilte dort in ein Eiskaffee gleich am Wasserfall. Ihr war nach frischer Luft und einem klaren Kopf, ihre Wangen glühten. Heute war ein besonders schöner Tag. Nicht nur, dass die Sonne schien, sich viele Touristen in der Stadt tummelten, was den Geschäftsleuten ausgesprochen gut gefiel. Nicht nur, weil man ihr gestern mitgeteilt hatte, dass man Henry wohl in absehbarer Zeit kaum entlassen werden könne und man sie, seine Ehefrau, als seinen Vormund bestellt habe. In Sarah war ein Glücksgefühl, wie sie es schon lange nicht mehr hatte. Wenn überhaupt, dann kurz vor der Ehe und in den ersten Wochen danach. Und in der Intensität, aber auf eine andere Art, annähernd vergleichbar mit Vanessa, der schönen verführerischen Unbekannten im Amüseum, die sie so verwirrt und erregt hatte.
    Sarah legte die Dokumente des Notars vor sich auf den Tisch, richtete sie exakt aus, bestellte einen Kaffee und trank mit geschlossenen Augen. Sie war zufrieden, äußerst zufrieden. Was heißt zufrieden, sie könnte zerplatzen vor Freude, auf den Tischen tanzen und jeden umarmen.
    »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, entschuldigte sich Carmen.
    »Macht nichts«, antwortete Sarah großzügig.
    »Und, hat es sich beim Notar gelohnt?«
    »Du bist ja gar nicht neugierig.«
    Carmen lächelte. »Ich kann mir ausrechnen, um was es geht. Du bist sein Vormund.«
    »Das war die gute Nachricht von gestern.«
    »Und heute?«
    »Hier, schau es dir doch an.« Sarah

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