Das Erwachen
sie.
»Er hat General Quatremayne befohlen, mit einer Streitmacht über die Nordsee zu setzen und Brum anzugreifen.«
»Wann?«
»Bald.«
»Sonst noch etwas?«
Blut zögerte. Da war noch ein letzter Punkt, aber wie sollte er ihn ansprechen? »Es ist nichts von Belang.«
»Das zu beurteilen überlassen Sie mir.«
»Er fürchtet, der vor langer Zeit verstorbene ã Faroün, sein Mentor aus Kindertagen, könnte zurückkehren ...«
Ihr Blick wurde kalt.
»Nun ja, Gnädigste, in letzter Zeit wacht er mit diesem Namen auf den Lippen auf – nicht des Nachts, sondern wenn er am Tage schläft. Er zittert und flüstert diesen Namen.«
Sie hob die Hand.
»Es ist besser, in seiner Gegenwart darüber nicht zu sprechen, Blut. Es ... verfolgt ihn noch immer.«
»Was?«
»Was mit ã Faroün geschehen ist.«
»Was ist denn mit ihm geschehen? Wenn es meinen Herrn betrifft, sollte ich es wissen.«
»Es war ebenso einfach wie schrecklich. Der Kaiser musste der Hinrichtung seines geliebten Mentors beiwohnen.«
»Warum?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Können oder wollen Sie es nicht sagen?«
»Letzteres. Er wurde zu Unrecht beschuldigt, mit unserem Herrn arkane Praktiken auszuüben. Sie sagen, er hat seinen Namen ausgesprochen?«
»Ja ... aber arkane Praktiken? Was ist das?«
Statt zu antworten, erwiderte Leetha: »Es ist bedauerlich, dass Sie mir das nicht schon früher gesagt haben. Ich hätte ihn beruhigen können. In diesem Namen steckt böse Magie. Er beschwört schlimme Dinge herauf.«
»Wann war das, Gnädigste?«
»Als er in den Dreißigern und sein Mentor in den Hundertern war, wobei dessen Langlebigkeit natürlich dem Besitz des Steins geschuldet war. Er wurde verbrannt.«
»Verbrannt?«
»Bei lebendigem Leib.«
»Der Kaiser wurde von seinem Vater gezwungen, das Feuer zu entzünden. Die Schreie verfolgen ihn bis heute. Daher seine Alpträume und seine Angst vor Feuer. Der Stein, also derselbe Gegenstand, der ihm Leben schenkt, erinnert ihn an diesen grausigen Tod ... Es macht mich traurig, dass er so leidet. Das verheißt nichts Gutes. Dieser Name bringt Unglück.«
Blut, ganz in Gedanken, merkte plötzlich, wie spät es war. »Verzeihen Sie, aber ich komme zu spät ...«
»Wozu, Blut?«
»Zu einer Besprechung mit dem besten Koch von Hyddenwelt.«
»Dem besten Koch? Wer sagt das?«
»Er selbst«, antwortete Blut, ohne zu lächeln. »Aber andere sagen es auch.«
Leetha lachte. »Sie meinen den berühmten Parlance, ehemals Leibkoch des Hochaltermanns von Brum, Lord Festoon, und heute Restaurantbetreiber,Speisenlieferant erster Güte und, auf seine Weise, auch ein Heiler?«
»Eben den. Ich habe ihn mit der Ausrichtung des Banketts beim bevorstehenden Fest der Steine beauftragt. Ein enervierender Kerl, der so tut, als sei Französisch seine Muttersprache, dabei ist er in Brum geboren und aufgewachsen. Aber kochen kann er. Und was die Stadt selbst angeht ... Sie hat einen drollig aufgeblasenen Hochaltermann, der keinerlei Macht besitzt, und einen sehr gewöhnlichen Marschall namens Igor Brunte, der das Sagen hat ... Und die Bilgener in Brum werden mit Achtung behandelt. Ungewöhnlich. Wäre ich Kaiser, würde ich mir die Stadt genauer ansehen.«
Leetha stand auf und drehte sich. Ihr Kleid schwang herum, und ihr Parfüm erfüllte die Luft.
»Vielleicht sollten Sie es werden«, sagte sie leise.
»Lieber nicht, Gnädigste.« Damit eilte er zu seiner Verabredung mit dem Koch.
»Herr«, sagte er zwei Stunden später, »bitte entschuldigen Sie die Verspätung.«
Tatsächlich entsprach das nicht ganz der Wahrheit.
Er war zu spät gekommen, da er Parlance nur schwer wieder losgeworden war. Doch als er sich verabredungsgemäß beim Kaiser eingefunden hatte, schlief dieser in einem Sessel unter einer Decke, die trotz der sommerlichen Wärme bis unters Kinn gezogen war. Deshalb hatte er dagesessen und gewartet, bis sein Herr, dem im Traum Tränen die Wangen herabliefen, aus seinem unruhigen Schlaf erwachte.
Warum er sich also entschuldigte, wusste er selbst nicht.
»Was hat Sie denn aufgehalten, dass Sie zu spät kommen?«
»Ich habe mit dem Koch gesprochen.«
»Ah, vortrefflich. Wegen des Banketts? Berichten Sie. Was haben Sie vereinbart?«
Blut seufzte, schüttelte den Kopf, schürzte die Lippen und blickte missbilligend. Dann zückte er eine Mappe.
»Wenn Sie einen Blick darauf werfen würden, Herr«, sagte er widerwillig. »Darin finden Sie einen Überblick über die Vorkehrungen, die
Weitere Kostenlose Bücher