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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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gewährleisten sollen, dass sich trotz der räumlichen Beschränkungen der Halle möglichst viele Leute die Steine ansehen können.«
    Sinistral las die Aufstellung schweigend.
    Als er fertig war, sagte er: »Ich hatte soeben einen Traum. Ich habe sogar geweint.«
    »Ja«, bestätigte Blut unverbindlich.
    »Haben Sie die leichte Veränderung im Gesang der Erde bemerkt? Gerade eben, vor einem Augenblick, glaube ich. Oder habe ich wieder geschlafen?«
    »Sie sind heute mehrmals eingeschlafen, Herr, oder, was mir lieber ist, mehrmals aufgewacht. Ich habe viele Geräusche gehört, während ich hier gesessen habe, aber Ihre Deutung entzieht sich mir noch. Die Geräusche sind sehr schön.«
    »In der Tat, Blut. Die Leute sollten sich mehr Zeit nehmen, der Erde zu lauschen.«
    Er lehnte sich vertraulich vor. »Ich glaube, ich habe Ihretwegen im Schlaf geweint.«
    »Meinetwegen, Herr?« Blut war ehrlich überrascht.
    »Ihretwegen. Die leichte Veränderung, die ich gespürt habe, war ein Warnzeichen. Eine Veränderung ist im Gange. In gewissem Sinne ist immer eine Veränderung im Gange, denn im Universum ist alles in Bewegung. Es gibt keinen Stillstand, und die Leute wären glücklicher, wenn sie sich mit dieser Tatsache abfinden würden.«
    »Wir haben oft dasselbe gedacht, aber ...«
    »Wir?«
    »Verzeihen Sie. Meine Frau und ich. Dass nichts ewig währt, am allerwenigsten Gemütszustände, die so veränderlich sind wie Glück und Traurigkeit.«
    »Sie sind ja ein Philosoph, Niklas.«
    Blut schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur zugehört und mich daran erinnert, was Sie in der Vergangenheit gesagt oder geschrieben haben. Es ist ein Privileg ...«
    Sinistral hob die Hand. »Bitte, Blut, lassen Sie die Schmeicheleien, das passt nicht zu Ihnen.«
    »Aber es ist ein Privileg, Sie zu kennen, Herr. Es ist eine gute Schule.«
    »Wofür?«
    Des Kaisers Augen blickten scharf und gar nicht irre.
    »Für ... das Leben, Herr, nichts weiter.«
    »Nun gut ... Diese kleine Veränderung war eine Warnung. Meine Tränen gingen ihr voraus, fühlten sie kommen. Unsere unbewussten Welten sind so groß wie das Universum, denn sie sind das Universum. Ich habe wegen des Befehls geweint, den ich Ihnen nun geben muss – aber ich fürchte, es ist unumgänglich.«
    »Herr?«
    »Schicken Sie Ihre Familie fort an einen sicheren Ort.«
    Blut verharrte regungslos.
    »Sie scheinen weder überrascht noch beunruhigt. Das ist ein Befehl.«
    »Dann werde ich ihn befolgen, Herr.«
    »Nun zu den Festlichkeiten ... Wann finden sie statt?«
    »In zwei Tagen.«
    »Berichten Sie.«
    Am Anfang hatte der Wunsch gestanden, die »Genesung« des Kaisers mit einem öffentlichen Festakt zu feiern. Dabei sollten den Spitzen der Gesellschaft Orden und Auszeichnungen verliehen werden, in Anerkennung ihrer Verdienste am Reich in den beiden Jahrzehnten, in denen er geschlafen hatte.
    Blut hatte sofort begriffen, dass ein solches Ereignis ein organisatorischer, politischer und diplomatischer Alptraum werden musste, da jeder, der keine Einladung erhielt, beleidigt sein würde. Das war schon schlimm genug, aber handhabbar.
    Doch als Witold Slew mit dem Stein des Frühlings zurückkam, beschloss der Kaiser, dem Ganzen einen krönenden Abschluss zu geben und die beiden Steine, die er nun besaß, öffentlich auszustellen. Zusammen.
    »Herr, wenn Sie das tun, will auch das gemeine Volk kommen ...«
    »Warum denn nicht? Bildet das gemeine Volk, wie Sie es nennen, nicht das Herz und die Seele des Reiches?«
    »Gewiss, aber die Große Halle bietet nur einer begrenzten Zahl Platz – und viele haben einen rechtmäßigen Anspruch auf die Teilnahme, allen voran die Höflinge. Auf jeden Fall haben wir Maßnahmen ergriffen, um einen Großteil der geladenen Gäste vom Kommen abzuhalten.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Sie bekommen zwar Einladungen, aber wenn diese ihnen zugehen,wird das Fest bereits vorüber sein. Sie werden der Verwaltung die Schuld geben, Herr.«
    »Sie meinen Ihnen.«
    »Ich meine dem Beamten, den ich damit betraut habe. Sie werden ihn bestrafen müssen.«
    »Kenne ich ihn?«
    »Es ist besser, wenn Sie seinen Namen nicht erfahren. Es ist schwer, die Hand eines Höflings zu schütteln, den Sie hinrichten lassen werden.«
    »Nicht unbedingt. Ich habe das häufig getan, allerdings vor Ihrer Zeit. Aber Sie haben recht: Ich muss seinen Namen nicht kennen. Ach übrigens, haben Sie meine neue Festrobe schon gesehen? Sie ist prachtvoll.«
    »Nein, Herr. Ich hatte mich um andere

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