Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
Vom Netzwerk:
hinab und stellte sich mit ihr auf das Auge.
    »Damit sieht das Pferd«, sagte er.
    »Damit?«, fragte sie, sank auf die Knie und blickte direkt in das Auge, das nur eine runde weiße Fläche aus nacktem Kalkstein war. »Ja! Ich kann das Pferd sehen, und das Pferd sieht mich!«
    Verwunderung schwang in ihrer Stimme mit.
    Sie stand wieder auf, betrachtete die komplizierten Linien des Kopfes, dann die Beine, den Rücken. »Ich kann tanzen und das Pferd lebendig machen.«
    Sie hob die Arme und trat aus dem Auge. Dann lief sie zu einer Linie und hopste an ihr entlang, als wäre sie in einem Labyrinth und suchte den Ausgang.
    »Schau, Daddy, schau!«
    Sie tanzte ganz allein an den Linien entlang, hinauf zur Kuppe und wieder den Hang hinunter. Dann erneut nach oben und wieder zurück, am ersten Bein entlang, dann am zweiten, am Leib und zurück zum Kopf und zum Auge.
    »Ich habe mit dem Pferd getanzt, und jetzt galoppiert es über das Gras zum Himmel, sieh doch!«
    Sie war glücklich, denn sie hatte zu etwas anderem einen Kontakt hergestellt. Alles hätte gut sein können, wäre in diesem Moment nicht eine Gruppe Grundschüler aufgetaucht, die bei ihrem Anblick große Augen machten.
    Judith, die sich Freunde wünschte, aber unerfahren war im Umgang mit anderen, missverstand ihre Signale und hopste, vielleicht ein wenig ungestüm, zu ihnen hinüber. Irgendetwas war ihr ins Auge gestochen. Die Kinder wichen zurück, und eines rief: »Die sieht aber komisch aus.«
    Judith ließ sich davon nicht beirren, hopste weiter und packte ein Mädchen, das ihre Größe hatte.
    Bevor Jack oder Katherine eingreifen konnten, ertönte ein Schrei, gefolgt von einem Schubs, einem Stoß. Judith kullerte die abschüssige Wiese hinunter, überschlug sich mehrmals und blieb dort liegen, wo der Hang zu dem Pferd hin steiler abfiel. Er führte von dort weiter nach unten bis zu der Talmulde, die so tief lag, dass man von oben auf die dort fliegenden Vögel hinabsah.
    Das Mädchen saß verstört auf der Erde und weinte. Ein größerer Junge blickte angriffslustig. Ein Lehrer steuerte zielstrebig auf Jack zu, der ihm ebenso zielstrebig, aber auch wütend und ganz der beschützende Vater, entgegenging.
    Aber Judith ließ das alles ungerührt.
    Sie stand auf, hob langsam die Hände und rief: »Seht her! Ich galoppiere mit dem Pferd!«
    Dann lief sie zum Rand des Grashangs, schlug Rad um Rad bis hinunter zum Pferd, landete mit den Füßen mitten im Auge, und bevor jemand etwas sagen oder tun konnte, rannte sie weiter, hüpfte, sprang, tanzte über das Gras und die Erde, schlug Räder in den Himmel, lachte mit dem Wind, flog über Flockenblumen und Skabiosen, bis sie auf halber Höhe des Hangs dem Blick entschwand.
    Ein Auto fuhr eine Straße hinauf, ein anderes hinunter. Sie verschwanden dort, wo Judith verschwunden war, und – wow! Wie ein Vogel schreckte sie von der Stelle neben der Fahrbahn auf, an der sie gelandet war, und lief weiter, die Schafsteige hinunter, mitten durch eine Herde Schafe, immer weiter und weiter. Jack, Katherine und Arthur sahen mit offenem Mund zu, der Lehrer wie erstarrt und immer noch empört und die Kinder mit weit aufgerissenen Augen, bis Judith ein letztes Rad schlug und auf einem flachen Stück Wiese zum Stehen kam, der idealen Bühne für das Finale, das darin bestand, dass sie nach oben schaute und eine Hand hob.
    Schimpfend eilten Jack und Katherine zu ihr nach unten, während Arthur den längeren Weg außen herum nahm. Der Schreck steckte ihnen noch in den Gliedern, doch im Näherkommen sahen sie, dass Judith unverletzt war. Das Haar zerzaust, die Kleider voller Gras- und Schmutzflecken, das Gesicht zerkratzt, die Hände aufgeschürft, aber unverletzt.
    »Gehen wir nach Hause«, sagte Jack bedrückt, da er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
    Er blickte nicht noch einmal den Hang hinauf zu den anderen Leuten, von denen einige immer noch glotzten.
    »Ich möchte so ein Kleid wie das Mädchen«, sagte Judith. »Ich möchte schön sein. Ich möchte nicht mehr ich sein.«
    »Aber du hast mit dem Pferd getanzt«, erwiderte Jack.
    »Ja«, flüsterte sie, nahm seine Hand und dann auch die Katherines. »Und es hat mit mir getanzt.«
    Die Aufregung, der Aufstieg und der halsbrecherische Abstieg waren offensichtlich zu viel für sie gewesen. Am nächsten Tag hatte sie wieder Schmerzen und war müde. Das Einzige, was sie tröstete, war, wenn man sie allein bei den Windspielen sitzen ließ, wo sie sich vor und zurück wiegte

Weitere Kostenlose Bücher