Das Eulenhaus
– etwas, das Gerda mit Hitzewellen und Unwohlsein überzog. Sie lag unterdessen da, fühlte sich elend, ließ alles über sich ergehen und versuchte, sich mit dem Gedanken: »Nur noch ein Mal aufwachen!«, zu trösten. Es war wie in der Schule, wo man die Tage zählt.
Gerda war nicht gern zur Schule gegangen. In der Schule hatte sie sich noch unsicherer gefühlt als sonst wo. Da war es sogar zuhause besser. Obwohl es da auch nicht gut gewesen war. Denn natürlich waren alle anderen schneller und gescheiter als sie gewesen. Ihre rasch hingeworfenen, ungeduldigen, wenn auch nicht wirklich unfreundlichen Bemerkungen pfiffen ihr um die Ohren wie ein Hagelschauer:
»O Gerda, beeil dich«, oder: »Du Tollpatsch, ich mache es lieber selbst«, oder: »Gib das nicht Gerda, die braucht ein Jahrhundert«, oder: »Gerda kapiert einfach nichts…«
Hatte denn kein Mensch gemerkt, dass man Gerda mit solchen Sprüchen noch langsamer und begriffsstutziger machte? Es war immer schlimmer geworden mit ihr, ihre Finger noch ungelenker, ihr Grips noch schlafmütziger und ihr Hang, einen mit leerem Blick anzustarren, wenn man ihr etwas sagte, noch größer.
Aber plötzlich, eines Tages, hatte sie einen Weg aus der Klemme entdeckt, hatte sie beinah zufällig ihre Verteidigungswaffe gefunden.
Sie war zwar noch langsamer geworden, hatte noch abwesender vor sich hingestarrt, aber wenn sie jetzt jemand anmeckerte: »O Gerda, du bist ja strohdumm, verstehst du das denn nicht?«, zog sie sich hinter ihren leeren Blick zurück und gratulierte sich zu ihrem kleinen Geheimwissen… So dumm, wie die anderen dachten, war sie nämlich nicht. Oft, wenn sie scheinbar wieder nichts begriff, begriff sie sehr wohl. Und oft machte sie irgendetwas extra langsam und lächelte in sich hinein, wenn es ihr irgendjemand Ungeduldiges aus der Hand nahm.
Das heimliche Wissen um die eigene Überlegenheit war herzerwärmend. Gerda amüsierte sich immer öfter im Stillen. Doch, es war wirklich amüsant, wenn man mehr wusste, als die anderen glaubten. Wenn man etwas konnte, aber niemandem sagte, dass man das kann.
Es hatte obendrein den Vorteil, wie sie plötzlich entdeckt hatte, dass einem die Leute alles Mögliche abnahmen. Das ersparte einem natürlich einen Haufen Ärger. Und wenn sich die anderen erst einmal dran gewöhnt hatten, einem die Sachen abzunehmen, dann brauchte man sie überhaupt nicht mehr zu tun, und dann erfuhr auch niemand, dass man sie nicht gut konnte. Und so war man irgendwann wieder am Ausgangspunkt – bei dem Gefühl, dass man sich sehr wohl auf gleicher Höhe mit dem Rest der Welt behaupten konnte.
Gegen die Angkatells kam man damit allerdings kaum an, dachte Gerda ängstlich. Die Angkatells waren allen so weit voraus, dass es einem vorkam, als könne man sich überhaupt nicht mit ihnen vergleichen. Wie sie sie hasste, diese Angkatells! Aber John taten sie gut – und John gefiel es dort. Er kam nicht mehr ganz so müde nachhause – und manchmal auch nicht mehr ganz so reizbar.
Mein lieber John, dachte sie. John war ein wunderbarer Mensch. Das fanden alle. Ein so erfahrener Arzt, so unglaublich freundlich zu seinen Patienten. Er rieb sich ja für sie auf – und zusätzlich die im Krankenhaus, für die er sich auch so einsetzte, und alles gratis. John war so selbstlos, so wahrhaft nobel.
Sie hatte von Anfang an gewusst, dass John brillant war und es bis nach ganz oben bringen würde. Und so einer hatte sie auserwählt, wo er doch eine ebenso brillante Frau hätte heiraten können. Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, dass sie so langsam und ein bisschen dumm und auch nicht die Hübscheste war. »Ich sorge für dich«, hatte er gesagt. Nett und ein bisschen despotisch. »Sei du ganz unbesorgt, Gerda, ich passe schon auf dich auf…«
Ein Mann, wie er sein soll. Wunderbar, dass John ausgerechnet sie genommen hatte.
Er hatte auch mit diesem höchst anziehenden, leicht flehentlichen Lächeln erklärt: »Ich mache die Dinge nämlich gern auf meine Weise, Gerda.«
Aber das war schon in Ordnung so. Sie hatte sich immer bemüht, ihm in allem nachzugeben. Auch in letzter Zeit, als er so schwierig, so erregbar geworden war – als ob ihm gar nichts mehr recht zu machen sei. Als irgendwie alles, was sie tat, falsch war. Das konnte man ihm doch nicht ankreiden. Er war ja so beschäftigt, so aufopfernd –
Du liebe Güte, die Lammkeule! Sie hätte sie doch in die Küche zurückgehen lassen sollen. John war immer noch nicht da. Konnte sie
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