Das Eulenhaus
die Albert Bridge, malte er sich aus, und dann Clapham Common, die Abkürzung am Kristallpalast vorbei, Croydon, Purley Way, ab da weg von der Hauptstraße, an der Gabelung nach rechts den Metherly Hill hoch, am Haverston Ridge entlang, dann scharf rechts, raus aus den Vororten, durch Cormerton und den Shovel Down hoch – rotgoldene Bäume – Wald, wohin man sieht – der weiche Herbstduft – und schließlich den Hügel hinunter.
Lucy und Henry… Henrietta…
Er hatte Henrietta seit vier Tagen nicht mehr gesehen. Bei ihrer letzten Begegnung hatte er sich geärgert. Sie hatte wieder diesen Ausdruck in den Augen gehabt. Nicht Geistesabwesenheit oder Unaufmerksamkeit – er wusste nicht, wie er ihn beschreiben sollte – diesen Ausdruck, als ob Henrietta irgendetwas sah – etwas, das gar nicht da war – etwas, und das war die Crux dabei – etwas, das nicht John Christow war!
Er hatte sich selbst beschwichtigt. »Ich weiß ja, dass sie Bildhauerin ist. Ich weiß, wie gut ihre Werke sind. Aber verflixt und zugenäht, kann sie das denn nicht einfach mal beiseitelassen? Kann sie einfach mal an mich denken – und an sonst gar nichts?«
Das war ungerecht. Er hatte gewusst, dass er ungerecht war. Henrietta sprach nur selten über ihre Arbeit – eigentlich war sie viel weniger davon besessen als die meisten anderen Künstler, die er kannte. Henrietta war nur bei ganz seltenen Gelegenheiten so absorbiert von irgendeiner Vision, dass ihr Interesse an ihm zu kurz kam. Aber jedes Mal packte ihn ein rasender Zorn.
Einmal hatte er in scharfem, hartem Ton gefragt: »Würdest du das alles aufgeben, wenn ich dich darum bitten würde?«
»Was – alles?«, hatte sie erstaunt, aber mit warmer Stimme zurückgefragt.
»Das hier alles.« Er hatte mit einem Armschwung das ganze Atelier beschrieben.
Und sofort danach hatte er gedacht: Du Idiot! Warum hast du das gefragt? Und dann: Bitte, bitte sag: »Natürlich.« Bitte, bitte lüg mich an! Hauptsache, du sagst ein Mal: »Ja, natürlich.« Es ist mir egal, ob das stimmt oder nicht! Ich will es nur hören. Für meinen Seelenfrieden.
Aber Henrietta hatte eine Zeit lang gar nichts gesagt, ihr Blick war noch versonnener und ferner geworden, schließlich hatte sie die Stirn gerunzelt. Und dann hatte sie sehr langsam gesagt: »Ich nehme an: ja. Wenn es nötig wäre.«
»Nötig? Was meinst du denn damit?«
»Das weiß ich wirklich auch nicht, John. Nötig eben, so wie Amputationen manchmal nötig sind.«
»Unter einer Operation tust du es wohl nicht!«
»Du bist wütend. Was hätte ich denn antworten sollen?«
»Das weißt du ganz genau. Ein Wort hätte gereicht. Ja. Warum kriegst du das nicht über die Lippen? Du erzählst anderen Leuten oft genug irgendetwas, um ihnen eine Freude zu machen, da ist es dir auch egal, ob es stimmt oder nicht. Warum nicht mir? Herrgott nochmal – warum nicht mir?«
Wieder hatte Henrietta sehr langsam geantwortet. »Das weiß ich nicht… wirklich, John, ich weiß das nicht. Ich kann nicht – sonst nichts. Ich kann das nicht.«
Er war minutenlang auf und ab gegangen. »Du machst mich noch wahnsinnig, Henrietta«, hatte er schließlich gesagt. »Ich habe nie das Gefühl, ich hätte Einfluss auf dich.«
»Warum willst du das denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich will es jedenfalls.« John hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen. »Ich will deine Nummer eins sein.«
»Das bist du, John.«
»Nein. Du würdest, wenn ich tot wäre, mit tränenüberströmtem Gesicht sofort beginnen, irgendeine verdammte trauernde Frau zu modellieren, irgendeine Darstellung des Kummers.«
»Das frage ich mich. Ich glaube – ja, doch, das würde ich wohl. Das ist ziemlich schrecklich.« Sie saß da und sah ihn verzagt an.
Der Pudding war angebrannt. John Christow zog die Augenbrauen hoch, und Gerda spulte Entschuldigungen ab.
»Es tut mir so leid, Liebes. Ich weiß überhaupt nicht, wie das passieren konnte. Es ist alles meine Schuld. Gib den oberen Teil mir und iss du den unteren.«
Der Pudding war angebrannt, weil er, John Christow, noch eine Viertelstunde lang nach der letzten Patientin im Sprechzimmer sitzen geblieben war und über Henrietta und Mrs Crabtree nachgedacht und sich von nostalgischen Erinnerungen an San Miguel überrollen lassen hatte. Es war seine Schuld. Und es war blödsinnig, dass Gerda die Verantwortung übernahm und auch noch die angebrannten Teile selbst essen wollte. Warum musste sie sich immer zur Märtyrerin machen? Warum glotzte
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