Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Ruhe lassen.«
    »Gerda hat keine Ahnung davon. Es erfährt sonst auch niemand. Und Gerda würde sich in der Figur auch nie wieder erkennen, das weißt du genau. Und sonst auch niemand. Es ist nämlich nicht Gerda, es ist niemand Bestimmtes.«
    »Ich habe sie ja auch erkannt, oder etwa nicht?«
    »Du bist auch anders, John – du siehst so was.«
    »Eine verdammte Unverfrorenheit ist das! Nein, ich lasse es nicht zu, Henrietta! Ich lasse es nicht zu. Merkst du denn nicht, wie unentschuldbar das ist?«
    »Ach ja?«
    »Weißt du das wirklich nicht? Spürst du das nicht? Wo ist denn dein Feingefühl?«
    »Du verstehst es nicht, John«, sagte Henrietta bedächtig. »Ich glaube, ich kann es dir nicht begreiflich machen… Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, wenn man etwas Bestimmtes braucht und tagein, tagaus auf der Suche danach ist – diese bestimmte Nackenlinie, diese Muskeln, dieser Winkel zwischen Kopf und Brustkorb, dieser bestimmte schwere Zug in der Kinnpartie muss es sein. Das alles habe ich gebraucht und haben wollen – jedes Mal, wenn ich Gerda sah… Und irgendwann musste ich sie einfach haben!«
    »Du bist skrupellos!«
    »Ja, das stimmt wohl. Aber wenn man etwas derart dringend braucht, dann muss man es sich nehmen.«
    »Das heißt, dir sind alle anderen gleichgültig? Gerda ist dir gleichgültig – «
    »Das ist doch lächerlich, John. Ich habe extra die kleine Statue für Gerda gemacht. Damit sie sich freuen kann und glücklich ist. Ich bin doch kein Unmensch!«
    »Doch, genau das bist du.«
    »Glaubst du im Ernst, Gerda erkennt sich in der Holzfigur wieder?«
    John betrachtete sie widerstrebend noch einmal, und jetzt wichen seine Wut und seine Empörung seiner Neugier. Es war eine seltsam unterwürfige Figur, eine, die irgendein göttliches Wesen anbetete, das man nicht sah – mit dem Gesicht gen Himmel, blind, leer, ergeben und entsetzlich stark entsetzlich fanatisch… »Das Ding macht mir richtig Angst, Henrietta!«, sagte er schließlich.
    Henrietta schauderte leicht. »Ja – das habe ich mir gedacht…«
    »Wo guckt sie eigentlich hin – wen guckt sie an? Wer ist vor ihr, den man nicht sieht?«
    Henrietta zögerte, dann antwortete sie mit einer seltsamen Stimme: »Ich weiß es auch nicht. Aber ich glaube, sie könnte sich an dich richten, John.«

5
     
    I m Esszimmer gab der kleine Terry weitere naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum Besten: »Bleisalze lösen sich in kaltem Wasser schneller als in warmem. Und wenn man noch Jodkali dazugibt, dann kriegt man gelb ausfallendes Bleijodid.«
    Er sah seine Mutter erwartungsvoll, aber ohne große Hoffnung an. Eltern waren seiner Ansicht nach eine furchtbare Enttäuschung.
    »Hast du das gewusst, Mutter –?«
    »Liebes, ich verstehe wirklich gar nichts von Chemie.«
    »Da gibt es aber Bücher drüber.« Eigentlich hatte Terence einfach eine Tatsache festgestellt, aber dahinter lag ein versteckter Kummer.
    Gerda entging das alles. Sie saß in ihrer elenden Angstfalle wie ein Hamster in seinem Rad. Seit dem Aufwachen am Morgen hatte sie sich bei dem Gedanken an das bevorstehende, lange befürchtete Wochenende bei den Angkatells elend gefühlt. Aufenthalte im »Eulenhaus« waren ein Albtraum für sie. Sie fühlte sich immer unsicher und verloren. Am meisten fürchtete sie Lucy mit ihren ewig unvollendeten Sätzen und jähen Gedankensprüngen und ihrer demonstrativen Freundlichkeit. Aber die anderen waren fast genauso schlimm. Für Gerda war so ein Wochenende das reine Martyrium – das sie wegen John durchleiden musste.
    John hatte sich nämlich heute Morgen gereckt und mit einer unüberhörbar freudigen Stimme gesagt: »Ist das eine herrliche Vorstellung – wir fahren ins Wochenende aufs Land. Das wird dir gut tun, Gerda, das brauchst du.«
    Sie hatte ihn mechanisch angelächelt und mit tapferer Selbstverleugnung gesagt: »Es wird sicher ganz reizend.«
    Sie hatte sich im Schlafzimmer umgesehen und unglücklich gefühlt. Die gestreifte, cremefarbene Tapete mit dem schwarzen Fleck dicht neben dem Schrank, der Frisiertisch aus Mahagoni mit dem zu weit vorspringenden Spiegel, der fröhlich-blaue Teppich, die Aquarelle vom Lake District – all diese vertrauten Dinge durfte sie erst Montag wiedersehen.
    Morgen Früh kam dagegen ein Hausmädchen mit raschelnden Kleidern in ein fremdes Schlafzimmer und brachte Morgentee auf einem zierlichen Tablettchen und zog die Rollläden hoch, und dann sortierte sie auch noch Gerdas Kleider und legte sie zusammen

Weitere Kostenlose Bücher