Das Eulenhaus
weiches Herbstlaub einatmen… allein dass das Auto sich vorwärts bewegte, war schon beruhigend – diese sanfte, mühelose Beschleunigung.
Dann fiel ihm leider wieder ein, dass es heute nicht so sein würde. Er hatte sich ja ein Handgelenk verstaucht und musste Gerda fahren lassen. Und Gerda, Gott steh ihr bei, Gerda konnte noch nicht einmal ansatzweise ein Auto fahren! Jedes Mal, wenn sie die Gangschaltung betätigte, verstummte er prompt und biss die Zähne zusammen, um bloß nichts zu sagen. Er wusste aus schmerzhafter Erfahrung, dass Gerda, wenn er irgendeinen Kommentar abgab, augenblicklich noch schlechter fuhr. Eigentlich komisch, dass nie jemand geschafft hatte, ihr das Gangschalten beizubringen – nicht einmal Henrietta. Er hatte sie nämlich darum gebeten, in der Hoffnung, dass Henriettas Autobegeisterung mehr bewirkte als seine eigene Gereiztheit.
Henrietta liebte Autos. Sie schwärmte von Autos mit der gleichen Heftigkeit wie andere Leute vom Frühling oder von der ersten Schneeflocke.
Für Henrietta war ein Auto männlich und hieß Wagen: »Ist er nicht eine Schönheit, John? Wie er so dahinschnurrt«, sagte sie. »Der schafft’s im Dritten den Bale Hill hinauf – macht dem gar nichts aus, ganz mühelos. Hör mal, wie gleichmäßig der Leerlauf dreht.«
Einmal war John aus der Haut gefahren und hatte wütend zurückgefragt: »Henrietta, findest du nicht auch, dass du das verdammte Ding mal ein, zwei Minuten lang vergessen und mir ein kleines bisschen Aufmerksamkeit widmen könntest?«
Hinterher schämte er sich immer für seine Ausbrüche.
Sie kamen einfach, aus heiterem Himmel, er wusste nie, wann.
Mit ihrer Arbeit ging es ihm genauso. Er fand ihre Werke gut. Er bewunderte sie sehr – und hasste sie gleichzeitig.
Darum war es auch bei dem heftigsten Streit gegangen, den er mit Henrietta gehabt hatte.
Gerda hatte ihm eines Tages erzählt: »Henrietta möchte gern, dass ich ihr Modell sitze.«
»Wie bitte?« Die Verblüffung, fand er später, war alles andere als ein Kompliment. »Wieso du denn?«
»Ja. Morgen gehe ich zu ihr ins Atelier.«
»Wofür in aller Welt braucht sie denn dich?«
Nein, sehr höflich hatte er sich nicht aufgeführt. Aber das war Gerda glücklicherweise entgangen. Sie schien sich einfach nur zu freuen. Er hatte Henrietta im Verdacht, es wieder einmal freundlich, aber unaufrichtig gemeint zu haben – vielleicht hatte Gerda irgendwann angedeutet, dass sie gern mal Modell sitzen würde. Irgendetwas in der Art.
Zehn Tage später hatte Gerda ihm stolz eine kleine Gipsstatue gezeigt. Ein hübsches kleines Ding, handwerklich hervorragend wie alles von Henrietta. Es war Gerda, aber sehr idealisiert – und Gerda war eindeutig begeistert. »Ich finde sie wirklich bezaubernd, John.«
»Die hat Henrietta gemacht? Die ist ja völlig ausdruckslos. Ich verstehe gar nicht, warum sie so was macht.«
»Sie ist natürlich ganz etwas anderes als ihre abstrakten Werke – aber ich finde sie gelungen, John, wirklich.«
Darauf fiel ihm nichts mehr ein – schließlich wollte er ihr auch nicht den Spaß verderben. Aber er ging bei der nächsten Gelegenheit Henrietta an: »Was hast du dir dabei gedacht, so etwas Albernes aus Gerda zu machen? Das hast du doch nicht nötig. Du machst doch sonst nicht so ein Zeug.«
Henrietta hatte ganz ruhig entgegnet: »Ich finde sie gar nicht schlecht. Und Gerda hat sich sehr gefreut.«
»Und wie! Was denn sonst? Gerda kann ja nicht mal Kunst von Kitschpostkarten unterscheiden.«
»Die Statuette ist keine schlechte Kunst, John. Sie ist einfach ein Porträt – ganz harmlos, nichts Hochtrabendes.«
»Normalerweise verplemperst du aber deine Zeit nicht mit so einem Zeug.« Er schwieg und starrte eine anderthalb Meter hohe Holzfigur an. »He, was ist das denn?«
»Ein Stück für die International-Group-Ausstellung. Aus Birnenholz. Die Anbeterin.«
Sie beobachtete ihn. Er starrte die Figur lange an, und plötzlich bekam er einen dicken Hals und blaffte Henrietta wutschnaubend an.
»Ach, dafür hast du Gerda wohl gebraucht? Wie kannst du nur?«
»Ich war gespannt, ob du es siehst…«
»Ob ich es sehe? Ja, selbstverständlich. Hier – « Er legte einen Finger auf die dicken, kräftigen Nackenmuskeln.
Henrietta nickte. »Ja, den Nacken und die Schultern habe ich gesucht – auch das Schräg-vornübergebeugte, das Unterwürfige, den ehrfürchtigen Blick. Wunderbar!«
»Wunderbar? Hör zu, Henrietta, ich erlaube das nicht. Du sollst Gerda in
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