Das Eulenhaus
Und ein Atelier braucht Henrietta. Sie hat nämlich wirklich Talent. Edward wird maßlos stolz auf sie sein, da bin ich ganz sicher. Zwei Jungen und ein Mädchen wären doch nett – oder zwei Jungen und zwei Mädchen.«
»Lucy – Lucy! Hör bitte auf.«
»Aber, Schatz«, Lady Angkatell riss die schönen Augen weit auf, »Edward heiratet nie eine andere als Henrietta. Er ist wirklich richtig störrisch. Mehr wie mein Vater, in der Beziehung. Wenn der sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat! Insofern muss Henrietta ihn selbstverständlich heiraten – und das wird sie auch, jetzt wo Christow aus dem Weg ist. Er war ja wirklich das größte Missgeschick, das ihr passieren konnte.«
»Der arme Teufel!«
»Wieso? Ach, weil er tot ist, meinst du? Gott ja, jeder muss mal sterben. Ich nehme mir das nie zu Herzen, wenn Leute sterben…«
Er sah sie neugierig an. »Ich dachte immer, du magst Christow, Lucy?«
»Ich fand ihn amüsant. Er hatte auch Charme. Aber ich finde, man sollte niemanden allzu wichtig nehmen.«
Dann schnitt Lady Angkatell wieder sanft und mit einem Lächeln unbarmherzig in einem Viburnum Carlesii herum.
18
H ercule Poirot sah aus dem Fenster. Henrietta Savernake kam den Weg zu seiner Haustür entlang. Sie hatte dasselbe grüne Tweedensemble an wie am Tag der Tragödie, und sie hatte einen Spaniel dabei.
Er eilte zur Tür und öffnete sie.
Sie lächelte ihn an. »Darf ich mir mal Ihr Haus ansehen? Ich sehe mir so gern anderer Leute Häuser an. Ich war gerade mit dem Hund spazieren.«
»Mais oui, natürlich. Mit dem Hund spazieren gehen ist ja so englisch!«
»Stimmt«, sagte Henrietta. »Daran habe ich auch schon gedacht. Kennen Sie das hübsche Gedicht? So ging die Zeit hin Stund um Stund mit Entenfüttern, Händel-Spielen und mü r risch meine Frau anschielen und Gassigehen mit dem Hund.« Wieder zeigte sie ihr strahlendes, unverbindliches Lächeln.
Poirot bat sie ins Wohnzimmer. Alles war akkurat arrangiert und etwas steif. Sie sah sich um und nickte.
»Wie hübsch«, sagte sie schließlich, »alles paarweise. Sie würden mein Atelier widerlich finden.«
»Warum sollte ich es widerlich finden?«
»Ach, bei mir kleben überall Lehmklümpchen – und hier und da ein Einzelstück, das ich zufällig mag, aber nur einzeln.«
»Aber das verstehe ich, Mademoiselle. Sie sind Künstlerin.«
»Sind Sie denn nicht auch ein Künstler, Monsieur Poirot?«
Poirot legte den Kopf zur Seite. »Eine schwierige Frage, das. Aber alles in allem, ich würde sagen nein. Ich habe sehr wohl Verbrechen kennen gelernt, die waren artistisch – sie waren geprägt, will ich sagen, von höchster Imaginationskunst. Aber ihre Lösung – nein, dafür braucht es keine schöpferische Kraft. Da ist eine Passion für die Wahrheit erforderlich.«
»Eine Passion für die Wahrheit«, wiederholte Henrietta gedankenverloren. »Ja, ich kann mir vorstellen, wie gefährlich Sie das macht. Und wären Sie mit der Wahrheit zufrieden?«
Er sah sie fragend an. »Was meinen Sie, Miss Savernake?«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie etwas wissen möchten. Aber würde Ihnen Wissen genügen? Oder wäre der nächste Schritt zwingend – die Übersetzung von Wissen in Handeln?«
Es machte ihn neugierig, wie sie an die Sache heranging. »Sie wollen sagen, wenn ich die Wahrheit über den Tod von Dr. Christow kennen würde – dann wäre ich zufrieden und würde sie für mich behalten? Kennen Sie sie denn, die Wahrheit über seinen Tod?«
Henrietta zuckte die Schultern. »Gerda scheint die nahe liegendste Antwort zu sein. Wie zynisch, dass man immer zuerst die Ehefrau oder den Ehemann verdächtigt.«
»Aber, Sie sind nicht einverstanden?«
»Ich bleibe immer lieber offen für alles.«
Poirot fragte ruhig: »Warum sind Sie gekommen, Miss Savernake?«
»Ich muss gestehen, ich habe nicht Ihre Passion für die Wahrheit, Monsieur Poirot. Ein Spaziergang mit dem Hund ist zwar ein netter Vorwand im Stil des englischen Landlebens, aber die Angkatells haben natürlich gar keinen Hund – wie Sie sicher auch schon gesehen haben.«
»Der Umstand war mir nicht entgangen.«
»Deshalb habe ich mir den Spaniel des Gärtners geliehen. Bei mir ist es mit der Wahrheitsliebe nicht so weit her, wissen Sie.« Wieder blitzte ihr strahlendes, aber zerbrechliches Lächeln auf.
Poirot überlegte, warum er es plötzlich als unerträglich rührend empfand. »Nein«, sagte er leise, »aber sehr wohl mit der Integrität.«
»Warum sagen Sie mir
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