Das Eulenhaus
ein bisschen dauern.«
Er zog eine Schreibtischschublade auf und nahm ein ledergebundenes Buch heraus. Während er es aufschlug, sagte er noch einmal: »Das wird ein bisschen dauern, alles durchzusehen – «
Etwas in seiner Stimme ließ Grange aufhorchen. Er sah hoch. Sir Henrys Schultern waren leicht nach unten gesackt – er war unvermittelt älter und müder geworden.
Inspektor Grange runzelte die Stirn. Möchte zum Teufel gern wissen, was ich von den Leuten hier halten soll, dachte er.
»Aha – «
Grange fuhr herum und sah dabei auf die Uhr. Dreißig Minuten – zwanzig Minuten, seit Sir Henry erklärt hatte: »Das wird ein bisschen dauern.«
»Ja, Sir?«, fragte er barsch.
»Hier fehlt eine 38er Smith & Wesson. Die Pistole steckte in einem braunen Lederhalfter ganz am Ende des Magazins hier in der Schublade.«
»Aha!« Der Inspektor behielt seine ruhige Stimme bei, war aber freudig erregt. »Und wann haben Sie sie, soweit Sie wissen, zuletzt an ihrem Platz gesehen, Sir?«
Sir Henry musste eine Weile überlegen. »Das ist nicht ganz leicht zu sagen, Herr Inspektor. Ich habe die Schublade hier zum letzten Mal vor ungefähr einer Woche geöffnet, und ich glaube – ich bin fast sicher, dass mir die Lücke aufgefallen wäre, wenn die Waffe gefehlt hätte. Ich würde allerdings ungern schwören, dass ich sie definitiv da gesehen habe.«
Inspektor Grange nickte. »Vielen Dank, Sir, das verstehe ich gut. Nun, ich muss weitermachen.«
Er ging aus dem Zimmer. Ein zielstrebiger Mann, der viel zu tun hat.
Sir Henry blieb, als der Inspektor weg war, eine Zeit lang regungslos stehen, dann ging auch er, aber durch die Terrassentür nach draußen. Dort war seine Frau mit ihrem Gartenkorb und Handschuhen. Sie stutzte gerade ein paar seltene Büsche mit einer Baumschere.
Sie winkte ihn gut gelaunt herbei. »Was wollte denn der Inspektor? Doch hoffentlich nicht wieder das Personal behelligen? Sie mögen das nämlich gar nicht, Henry. Für die ist das nicht komisch und unterhaltsam wie für uns.«
»Ist es das für uns?«
Sein Tonfall ließ sie aufhorchen. Sie lächelte ihn liebevoll an. »Wie müde du aussiehst, Henry. Musst du dir das denn alles so zu Herzen nehmen?«
»Mord geht nun mal zu Herzen, Lucy.«
Lady Angkatell überlegte einen Augenblick, während sie abwesend ein paar Zweige abschnitt. Dann verdüsterte sich ihr Gesicht. »Du lieber Himmel – das Schlimmste an diesen Baumscheren ist, dass sie so faszinierend sind! Man kann gar nicht mehr aufhören, man schneidet immer viel mehr ab, als man wollte. Was hattest du gleich gesagt – irgendetwas mit Mord und zu Herzen gehen? Weißt du, Henry, ich habe eigentlich nie verstanden, warum. Ich meine, wenn man schon sterben muss, dann hatte man womöglich Krebs oder lag mit Tuberkulose in so einem schauderhaft hellen Sanatorium, oder einen Schlaganfall – grässlich, mit nur noch einer Gesichtshälfte, die sich bewegt –, oder man wird eben erschossen oder erstochen oder vielleicht erwürgt. Am Ende läuft es doch alles auf dasselbe hinaus. Man steht eben da und ist, also, ich meine, tot! Aus allem raus. Und keine Sorgen mehr. Und die Angehörigen haben den ganzen Ärger – die Streitereien um Geld, soll man Schwarz tragen oder nicht, wer sollte noch Tantchen Selinas Sekretär erben – lauter solche Sachen!«
Sir Henry setzte sich auf das Mäuerchen. »Dieser Fall wird viel belastender, als wir gedacht haben, Lucy.«
»Na dann, Schatz, müssen wir es eben ertragen. Und wenn alles vorbei ist, fahren wir vielleicht weg, irgendwohin. Wir wollen uns nicht den Kopf über gegenwärtige Probleme zerbrechen, sondern uns auf die Zukunft freuen. Und darauf freue ich mich wirklich. Ich überlege die ganze Zeit, ob es nicht nett wäre, über Weihnachten nach ›Ainswick‹ zu fahren – oder ob wir uns das bis Ostern aufheben sollen. Was meinst du?«
»Für Weihnachtspläne ist noch jede Menge Zeit.«
»Ja, aber ich sehe ja alles gern vor meinem inneren Auge. Ostern, vielleicht… ja.« Lucy lächelte zufrieden. »Bis dahin ist sie bestimmt darüber weg.«
»Wer?«, fragte Sir Henry verwirrt.
»Henrietta«, antwortete Lady Angkatell seelenruhig. »Ich finde, wenn sie die Hochzeit in den Oktober legen – ich meine, nächstes Jahr Oktober –, dann könnten wir auch dann an Weihnachten hinfahren. Henry, ich habe auch schon gedacht – «
»Das solltest du nicht, meine Liebe. Du denkst zu viel.«
»Weißt du noch, die Scheune da? Die wird das ideale Atelier.
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