Das Eulenhaus
Handlung…«
Henrietta wandte den Kopf abrupt herum und starrte ihn an. Er spürte ihren Blick, bewegte seinen Kopf aber nicht.
»Denken Sie da an – an etwas Bestimmtes?«, fragte sie.
»Ich dachte daran, wie Sie vortraten und Mrs Christow den Revolver aus der Hand nahmen, und wie Sie ihn dann ins Schwimmbecken rutschen ließen.« Er konnte auch spüren, dass sie leicht hochfuhr.
Aber ihre Stimme klang normal und ruhig. »Monsieur Poirot, Gerda ist ein ziemlich tollpatschiger Mensch. Unter dem Schock der Ereignisse hätte sie vielleicht abgedrückt, und wenn womöglich noch eine Kugel im Revolver gewesen wäre, dann hätte sie jemanden – verletzen können.«
»Aber es war sehr tollpatschig von Ihnen, nicht wahr, ihn ins Becken rutschen zu lassen.«
»Nun ja, ich stand auch unter Schock.« Sie hielt inne. »Worauf wollen Sie hinaus, Monsieur Poirot?«
Poirot setzte sich hoch und hob auch wieder den Kopf. Er erklärte trocken und sachlich: »Wenn auf diesem Revolver Fingerabdrücke waren, das heißt, Fingerabdrücke von vorher, bevor Mrs Christow ihn in die Hand bekam, dann wäre es interessant zu erfahren, von wem sie stammen – und das werden wir nun nie mehr erfahren.«
»Soll heißen, Sie glauben, es waren meine«, sagte Henrietta ruhig, aber fest. »Sie wollen darauf hinaus, dass ich John erschossen und den Revolver neben ihm liegen gelassen habe, damit Gerda vorbeikommen und ihn hochnehmen kann und den schwarzen Peter in der Hand hat. Darauf wollen Sie doch hinaus, oder? Aber wenn ich das so gemacht hätte, müssten Sie mir gewiss auch so viel Intelligenz zutrauen, dass ich meine eigenen Fingerabdrücke zuallererst abwische!«
»Aber gewiss sind Sie, Mademoiselle, intelligent genug zu erkennen, dass es – wenn Sie das so gemacht hätten und auf dem Revolver keine Fingerabdrücke außer denen von Mrs Christow gewesen wären – doch sehr aufgefallen wäre! Denn mit jenem Revolver hatten Sie doch alle am Tag zuvor geschossen. Und Gerda Christow hätte ja wohl kaum Fingerabdrücke von dem Revolver gewischt, bevor sie ihn benutzt – warum auch?«
»Sie glauben also«, sagte Henrietta bedächtig, »dass ich John umgebracht habe.«
»Dr. Christow sagte, als er starb: Henrietta.«
»Und Sie halten das für eine Anschuldigung? Das war es nicht.«
»Was war es dann?«
Henrietta streckte einen Fuß vor und zeichnete mit der Spitze ein Muster. Dabei fragte sie leise: »Haben Sie vergessen – was ich Ihnen erzählt habe, erst vorhin? Ich meine – über die Beziehung zwischen John und mir?«
»Ah ja – er war Ihr Liebhaber. Also sagt er beim Sterben Ihren Namen. Das ist sehr rührend.«
Sie schoss ihm einen wütenden Blick zu. »Müssen Sie sich darüber mokieren?«
»Ich mokiere mich nicht. Aber ich lasse mich nicht gern belügen – und das, denke ich, versuchen Sie zurzeit.«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nicht sehr wahrheitsliebend bin«, antwortete Henrietta ruhig. »Aber als John ›Henrietta‹ gesagt hat, hat er mich nicht beschuldigt, ihn umgebracht zu haben. Können Sie denn nicht verstehen, dass Leute meiner Art, die Dinge machen, ziemlich unfähig sind, Leben zu nehmen? Ich bringe keine Leute um, Monsieur Poirot. Ich könnte überhaupt niemanden umbringen. Das ist die schiere Wahrheit. Sie verdächtigen mich einfach nur, weil mein Name von einem Sterbenden gemurmelt wurde, der kaum wusste, was er sagt.«
»Dr. Christow wusste ganz genau, was er sagt. Seine Stimme war so lebendig und klar wie die von einem Chirurgen, der jemanden auf Leben und Tod operiert und laut und deutlich sagt: ›Schwester, die Klemme, bitte.‹«
»Aber – «Henrietta sah bestürzt aus, fassungslos.
Hercule Poirot setzte rasch nach. »Und das, was Dr. Christow sagte, als er starb, ist nicht der einzige Grund. Ich glaube zwar keine Sekunde lang, dass Sie zu einem vorsätzlichen Mord fähig sind – mais non. Aber Sie könnten den Schuss sehr wohl in einem Moment plötzlichen heftigen Grolls abgefeuert haben – und wenn das stimmt – falls es stimmt, Mademoiselle, haben Sie genug kreative Fantasie und Kraft, die Spuren zu tilgen.«
Henrietta stand auf. Einen Augenblick lang blieb sie bleich und zitternd vor Poirot stehen und sah ihn an. Dann sagte sie mit einem flüchtigen, wehmütigen Lächeln: »Und ich hatte gedacht, dass Sie mich mögen.«
Hercule Poirot seufzte auf und sagte traurig: »Das ist es ja, was mir so zu schaffen macht: Das tue ich.«
19
A ls Henrietta gegangen war, blieb
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