Das Eulenhaus
klare Aussage, Miss Cray. Sie kamen Samstagabend einfach so ins ›Eulenhaus‹?«
»Ja, meine Streichhölzer waren alle. Man vergisst immer, wie wichtig solche Sachen auf dem Land sind.«
»Und dafür sind Sie den ganzen Weg ins ›Eulenhaus‹ gegangen? Warum nicht zu Ihrem viel näheren Nachbarn, Monsieur Poirot?«
Sie lächelte – ein umwerfendes, selbstbewusstes Kameralächeln. »Ich wusste nicht, wer mein nächster Nachbar ist – sonst wäre ich dahin gegangen. Ich dachte, er ist irgend so ein kleiner Ausländer, und ehrlich gesagt, fürchtete ich, er geht mir vielleicht auf den Geist – in so enger Nachbarschaft.«
Ja, dachte Grange, klingt plausibel. Das hatte sie sich extra für diese Gelegenheit zurechtgelegt. Was er sagte, war: »Sie bekamen also Ihre Streichhölzer, und Sie erkannten, wenn ich das richtig verstehe, in Dr. Christow einen alten Freund wieder?«
Sie nickte. »Der arme John. Ja, ich hatte ihn seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wirklich?« Die Frage des Inspektors hatte einen Unterton höflicher Skepsis.
»Wirklich.« Ihr Ton war fest und bestimmt.
»Sie waren erfreut, ihn zu sehen?«
»Hocherfreut. Es ist doch immer erfreulich, finden Sie nicht, Herr Inspektor, wenn man einem alten Freund über den Weg läuft?«
»Das kann es gelegentlich sein.«
Veronica Cray wartete weitere Fragen gar nicht ab, sondern redete weiter. »John brachte mich nachhause. Sie wollen sicher wissen, ob er irgendetwas gesagt hat, das einen Zusammenhang mit der Tragödie haben könnte, und ich habe sehr gründlich über unsere Unterhaltung nachgedacht – aber es gab keinen wie immer gearteten Hinweis.«
»Worüber haben Sie sich unterhalten, Miss Cray?«
»Über alte Zeiten: ›Weißt du noch dies und das und sonst was?‹« Sie lächelte versonnen. »Wir hatten uns in Südfrankreich kennen gelernt. John hatte sich wirklich kaum verändert – er war natürlich älter geworden, selbstbewusster. Er soll wohl einen ziemlichen Namen in seinem Beruf gehabt haben. Über sein Privatleben hat er aber gar nichts erzählt. Ich hatte nur irgendwie den Eindruck, dass die Ehe wohl nicht sonderlich glücklich war – aber das war nur ein ganz flüchtiger Eindruck. Ich nehme an, seine Frau, das arme Ding, gehörte wohl zu den einfältigen und eifersüchtigen Frauen – bestimmt hat sie immer Trara gemacht wegen seiner hübscheren Patientinnen.«
»Nein«, sagte Grange, »der Typ scheint sie überhaupt nicht gewesen zu sein.«
Veronica fragte hastig: »Sie meinen, das – lief alles unter der Oberfläche? Ja – ja, das leuchtet mir ein, so etwas ist ja viel gefährlicher.«
»Sie denken also auch, dass Mrs Christow ihn erschossen hat, Miss Cray?«
»Ich hätte das nicht sagen dürfen. Man soll ja – heißt das so? – vor einem Prozess keinen Kommentar abgeben. Es tut mir wahnsinnig leid, Herr Inspektor. Aber mein Dienstmädchen hat mir nämlich erzählt, dass sie über der Leiche stand und den Revolver noch in der Hand hatte, als man sie fand. Und in diesen stillen Landgegenden wird ja alles immer schnell aufgebauscht, und die Dienstboten tuscheln es weiter.«
»Dienstboten können gelegentlich sehr nützlich sein, Miss Cray.«
»Ja, Sie bekommen bestimmt eine Menge Informationen auf dem Weg, nicht?«
Grange fuhr unbeirrt fort. »Es ist natürlich immer die Frage, wer ein Motiv hatte…« Er hielt inne.
Veronica fragte mit einem zarten, bekümmerten Lächeln: »Und da ist eine Ehefrau immer als erste verdächtig? Wie zynisch! Aber normalerweise gibt es doch auch, wie das so heißt, ›die andere‹. Ich nehme doch an, dass die auch in Betracht käme, wenn es um ein Motiv geht?«
»Sie glauben, es gab eine andere in Dr. Christows Leben?«
»Nun ja – ja, die Vorstellung hatte ich durchaus. Man hat ja so seine Eindrücke.«
»Auch Eindrücke können gelegentlich sehr hilfreich sein«, sagte Grange.
»Ich stellte mir nach allem, was er sagte, vor, dass diese Bildhauerin wohl eine, nun ja, sehr enge Freundin war. Aber ich darf doch annehmen, dass Sie längst selbst alles darüber wissen?«
»Wir müssen uns selbstverständlich lauter solche Einblicke verschaffen.«
Inspektor Grange hatte das mit einer vollkommen neutralen Stimme gesagt, bemerkte aber, ohne dass es auffiel, ein rasches gehässiges Aufblitzen von Zufriedenheit in ihren großen blauen Augen. Wieder klang er höchst amtlich, als er fragte: »Dr. Christow hat Sie also nachhause gebracht. Wie spät war es, als Sie sich von ihm
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