Das Eulenhaus
Poirot auf der Bank sitzen, bis er Inspektor Grange unten am Pool vorbeigehen sah. Er trabte mit festem, leichtem Schritt auf dem Weg am Pavillon vorbei.
Der Inspektor hatte einen zielstrebigen Gang.
Also ging er entweder nach »Resthaven« oder nach »Dovecotes«. Und Poirot hätte gern gewusst, wohin genau.
Also stand er auf und ging in seinen alten Fußstapfen denselben Weg zurück, den er gekommen war. Wenn Inspektor Grange ihn besuchen wollte, dann wollte er gern wissen, was der Inspektor zu sagen hatte.
Aber als er nach »Resthaven« zurückkam, deutete nichts auf einen Besucher hin. Nachdenklich sah Poirot die kleine Straße hoch, die zu »Dovecotes« führte. Veronica Cray war noch nicht nach London abgereist, wie er wusste.
Er stellte fest, dass ihn Veronica Cray immer neugieriger machte. Die blass schimmernden Silberfüchse, der kleine Stapel Streichholzschachteln, dieses plötzliche, sehr unzureichend begründete Eindringen am Samstagabend, schließlich Henrietta Savernakes Enthüllungen über John Christow und Veronica.
Es war, fand er, ein interessantes Muster. Ja, als das betrachtete er es: als Muster.
Eine Maserung aus emotionalen Verwicklungen und aufeinander prallenden Charakteren. Ein merkwürdiges Stoffmuster, mit ineinander verwobenen Fäden aus Hass und Begierde durchsetzt.
Hatte Gerda Christow wirklich ihren Mann erschossen? Oder war das alles gar nicht so einfach?
Er dachte an seine Unterhaltung mit Henrietta und kam zu dem Schluss, dass der Fall nicht so einfach war.
Henrietta war in Windeseile überzeugt gewesen, dass er sie des Mordes verdächtigte, dabei war er in Wirklichkeit nicht annähernd so weit in seinen Gedanken gegangen. Er war noch immer erst bei der Annahme, dass Henrietta etwas wusste. Etwas wusste oder etwas verbarg – was von beiden?
Er schüttelte unzufrieden den Kopf.
Die Szene am Schwimmbecken. Eine Inszenierung. Ein Bühnenstück.
Inszeniert von wem? Inszeniert für wen?
Er hatte den starken Verdacht, dass die Antwort auf die zweite Frage Hercule Poirot hieß. Das hatte er seinerzeit schon gedacht. Aber da hatte er das Ganze noch für eine Unverschämtheit gehalten – einen Scherz.
Eine Unverschämtheit war es immer noch – aber kein Scherz.
Und die Antwort auf die erste Frage?
Er schüttelte den Kopf. Er wusste sie nicht. Er hatte nicht die leiseste Ahnung.
Aber er schloss die Augen wieder halb und beschwor sie sich allesamt wieder vor Augen – er sah sie ganz deutlich vor seinem inneren Auge: Sir Henry, der aufrechte, verantwortungsbewusste und zuverlässige Beamte des Empire. Lady Angkatell, vage, schwer fassbar, mit ihrem überfallartigen, verwirrenden Charme und der tödlich wirksamen gedanklichen Inkonsequenz. Henrietta Savernake, die John Christow mehr geliebt hatte als sich selbst. Der sanfte, aber negative Edward Angkatell. Das positive, dunkle junge Mädchen namens Midge Hardcastle. Das benommene, bestürzte Gesicht von Gerda Christow, während sie den Revolver umklammert hielt. Der pubertäre David Angkatell, der alles übel nahm.
Da waren sie alle, mitgehangen und mitgefangen in den Maschen des Gesetzes. Eine Zeit lang aneinander gefesselt durch die unerbittlichen Nachwirkungen eines gewaltsamen, plötzlichen Todes. Ein jeder mit seiner eigenen Tragödie und Bedeutung, mit seiner eigenen Geschichte.
Und irgendwo in diesem Zusammenspiel von Charakteren und Gefühlen lag die Wahrheit.
Faszinierender als das Studium der Menschen war für Hercule Poirot nur eins, und das war das Streben nach Wahrheit.
Er war entschlossen, die Wahrheit über den Tod von John Christow zu erfahren.
»Aber selbstverständlich, Herr Inspektor«, sagte Veronica Cray. »Ich kann es gar nicht erwarten, Ihnen behilflich zu sein.«
»Vielen Dank, Miss Cray.«
Veronica Cray entsprach irgendwie gar nicht den Vorstellungen des Inspektors. Er hatte sich auf Glamour eingestellt, auf Gekünsteltes, womöglich gar auf Drama und Pathos. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie irgendeine bühnenreife Szene hingelegt hätte.
Eine Szene legte sie in der Tat hin, vermutete er scharfsinnig. Aber es war nicht die Art Szene, mit der er gerechnet hatte.
Es gab weder überzogenen weiblichen Charme noch übertriebenes Glamourgetue.
Er hatte vielmehr den Eindruck, er sitze einer ungemein gut aussehenden und teuer gekleideten Frau gegenüber, die außerdem noch eine gute Geschäftsfrau war. Veronica Cray, stellte er fest, war durchaus nicht dumm.
»Wir brauchen nur eine
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