Das Eulentor
arbeiten seit einem halben Jahr hier und haben bisher …«
»Wir haben genug Zeit verloren. Ich erwarte sämtliche Unterlagen heute abend auf dem Tisch in meinem Zimmer.«
»In Ihrem Zimmer?« Hansen hustete, als habe er sich am Zigarrenqualm verschluckt.
»Weshalb rede ich überhaupt mit Ihnen?« Brehm schüttelte sich wie ein nasser Hund, worauf er mich fixierte. »Mir wurden von der Geschäftsleitung jeglicher Komfort sowie äußerste Kooperation zugesichert.«
Eigentlich war diese Kooperation uns zugesichert worden. Doch bevor ich antworten konnte, nahm Hansen die Zigarre aus dem Mund und spuckte vor Brehm auf den Boden.
»Herr Ingenieur, falls Sie es noch nicht begriffen haben, wir sind in Spitzbergen. Hier beginnt die Arktis. Dieses Schiff ist unser einziger Kontakt zur Außenwelt. Es legt zweimal im Monat in der Bucht an, aber es kann schon mal passieren, daß der Fjord zufriert, dann wird es ziemlich einsam hier draußen. Und dann muß man überleben – und zwar gemeinsam, in der Gruppe. Der nächste Komfort – falls Sie den wünschen – liegt eintausendzweihundert Kilometer weit entfernt, auf dem norwegischen Festland.«
Ich wünschte, Hansen hätte geschwiegen. Andererseits hätte ich es nicht treffender formulieren können. Rasch legte ich ihm die Hand auf die Schulter, bevor er sich zu einer gröberen Flegelei hinreißen ließ, was gut passieren konnte.
Brehms Lippen bebten. »Dieses Lotterleben, wie mir berichtet wurde, hat jetzt ein Ende. Ich dulde weder Tabak noch Alkohol auf der Station. Sie werden sich einem exakten Dienstplan unterordnen, haben Sie mich verstanden? Ab morgen beginnen wir mit der ernsthaften Erforschung des Schachts.«
Der Walfänger warf mir einen Blick zu, der Bände sprach.
*
Am zweiten Tag nach Brehms Ankunft hatten die Isländer, Hansen und ich die letzte Winde samt Rollbügel in einer Tiefe von fünftausend Metern montiert, einen Kilometer Stahlseil aufgewickelt und die Stromleitungen in der Felswand verlegt.
Während der Arbeit waren Abfälle, Roh- und Verschleißmaterialien, sowie Dutzende Werkzeuge, die brachen oder den Isländern aus den Händen glitten, in den Schacht gestürzt. Ebenso hatten wir die alten Seilwinden, für die wir keine Verwendung mehr fanden, in den Schlund abgeworfen – wo sie für immer verschwanden. Mittlerweile mußten sich Tonnen von Material am Grund des Schachts angesammelt haben, die allesamt Christiansons Leichnam unter sich begruben. Nahezu täglich dachte ich daran, wo und wie sich diese Gegenstände wohl übereinander türmten, aber für Brehm war diese Überlegung unerheblich. Für ihn zählte bloß die reibungslose Fahrt der Gondel über eine Strecke von sechstausend Metern ins Erdinnere, die wir möglich gemacht hatten. Und er lobte uns dafür – sofern man ein wortkarges »gerade noch im Zeitplan, meine Herren« als Lob deuten konnte.
In der kommenden Nacht fuhr Brehm allein hinunter, um seine ersten Experimente durchzuführen. Er blieb lange unten – ja, er hatte uns sogar beschworen, ihn frühestens nach zehn Stunden wieder nach oben zu holen. Nach der Fahrt verschwand er schweigsam in seinem Zimmer, einem ehemaligen Abstellraum, den wir in der Zwischenzeit für ihn geräumt hatten, um den gesamten darauf folgenden Tag darin zu verbringen.
Da meine Kammer unmittelbar an seine grenzte, hörte ich ihn die gesamte Nacht in seinen Truhen kramen, in Büchern blättern, mit Papier rascheln und mit dem Federkiel in Notizheften kratzen.
Am Abend des nächsten Tages sagte mir jener Isländer, der Brehm das Nachtmahl servierte, daß mich der deutsche Ingenieur zu sprechen wünsche. Ich klopfte an Brehms Tür und trat ein. Im Raum roch es muffig. Tisch, Bett und Kommode waren mit Büchern und Papieren überhäuft. Neben der Öllampe auf dem Schreibpult stand ein alter, mit Flecken übersäter Globus – auf Spitzbergen steckte ein Fähnchen. Die vage eingezeichneten Umrisse der Insel erinnerten mich daran, wie kläglich unsere Expedition gescheitert war, das Land zu kartographieren.
»Ihre bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Schacht, durch die ich mich gelesen habe, sind völlig wertlos«, eröffnete Brehm mir. »Allerdings sehe ich Ihre Stärke woanders.« Gönnerhaft deutete er auf den einzigen freien Stuhl. »Nehmen Sie doch Platz.«
Schweigend setzte ich mich ihm gegenüber.
»Sie haben mit Ihrer Mannschaft in den letzten Wochen vorzügliche Arbeit geleistet und mit der Errichtung des
Weitere Kostenlose Bücher