Das Eulentor
Gondelsystems die Voraussetzung geschaffen, die es mir ermöglicht, fundierte wissenschaftliche Forschung zu betreiben. Die Technik ist offensichtlich eher Ihr Metier, als sagen wir mal …« Er räusperte sich. »… die Physik oder die Medizin.« Er warf einen Blick in ein Dossier, welches ihm zweifelsohne einiges über meine abgebrochene Arztlaufbahn verriet. »Daher geht meine Empfehlung an den Vorstand der Berliner Motoren-Werke, Sie weiterhin als technischen Leiter vor Ort zu beschäftigen, ebenso Herrn Hansen als Ihren Stellvertreter. Aber was den Rest der Leute betrifft …« Er drehte den Globus mit spitzen Fingern, um ihn abrupt abzubremsen. »… scheinen mir die Isländer nicht gerade qualifiziert, ein derartiges Projekt weiterhin zu betreuen. Es sind zwar gute Zimmerleute, aber schließlich wollen wir ja keine Siedlung auf dem Plateau errichten. Ich werde mich daher für eine neue Belegschaft einsetzen, bestehend aus technischen Fachleuten, da ich im Moment keine andere Möglichkeit sehe, um die hohe Arbeitsqualität vor Ort zu gewährleisten.«
»Die Isländer haben bisher ausgezeichnete Arbeit geleistet«, protestierte ich. »Alles, was Sie hier sehen, sowie das Gondelsystem, wurde von ihnen errichtet. Bisher ist es zu keinem einzigen Arbeitsunfall gekommen und …«
»Es ist eine Sache, eine Station zu zimmern, aber eine andere, eine wissenschaftliche Forschungsstation zu führen!« unterbrach mich Brehm. »Man muß kein Genie sein, um mit einem Generator einen Elektromotor zu betreiben. Haben Ihre isländischen Freunde auch eine Ahnung von Statik, Elektromagnetismus, physikalischen Messungen oder komplexen mathematischen Berechnungen?«
Ich schwieg.
»Ist nur einer unter ihnen, dessen Wissen sich mit dem eines technischen Ingenieurs messen kann?« fügte er hinzu.
Geschwollene Worte, die nichts weiter bedeuteten, als daß Hansen und mir das Projekt weiterhin aus den Händen glitt und Brehm uns soeben zu seinen Vorarbeitern degradiert hatte, die nichts mehr entscheiden durften.
»Ich werde die Mannschaft also austauschen müssen. Sehen Sie das anders?«
»Ja, aber habe ich eine andere Wahl?« fragte ich.
»Genaugenommen nicht.« Brehm breitete die Arme vor mir aus. »Ich kann Ihnen versichern, daß ich weiß, wie Sie sich im Moment fühlen, aber sehen Sie, Herr Berger – die persönlichen Wünsche zählen hier draußen nicht. Die restlose Erforschung des Schachts ist unser einziges Ziel, und um das so rasch wie möglich zu erreichen, bin ich hier.«
Lange sah ich ihn schweigend an. Ich hatte mich in ihm getäuscht. Er war nicht nur ein Analytiker, der bloß seine Zahlen im Kopf hatte, sondern auch ein Karrierist, der über Leichen ging. Eine Eigenschaft, die im Ewigen Eis fatal enden konnte.
»Was haben Sie während Ihrer ersten Fahrt in den Schacht herausgefunden?« fragte ich schließlich, um das Thema zu wechseln.
Brehm hob die Augenbrauen, als habe er nicht mit meinem Interesse an seinen Forschungsergebnissen gerechnet. Rasch blätterte er durch seine handschriftlichen Unterlagen. »Der Schacht führt geradlinig ohne Krümmung steil nach unten. Meine Experimente mit einem Pendel belegen dies. Auf einer Strecke von eintausend Metern nimmt die Temperatur konstant um einen Grad zu. Dahingegen nimmt das Gewicht der Testobjekte in Richtung Erdmittelpunkt um einen linearen Wert ab.« Er griff nach einem Eisenzylinder, der an einer Feder hing, und ließ ihn vor seinem Gesicht baumeln. »Würde man diese Reduzierung theoretisch bis zum Erdmittelpunkt weiterrechnen, erhielte man exakt Null Gramm.«
»Null Gramm?« wiederholte ich.
»Denken Sie sich die Erde am Äquator in zwei Hälften geteilt, wie einen Apfel, den man auseinander schneidet.« Zur Erklärung öffnete Brehm den Holzverschluß des Globus und klappte ihn in der Mitte auf. Die Kugel war hohl, darin lag bloß eine zerfledderte, in Leder gebundene Ausgabe der Bibel. »Auf einen Körper im Erdmittelpunkt wirkt nun die Schwerkraft der Nordhalbkugel und zieht ihn in Richtung Nordpol, in gleicher Weise zieht ihn die Südhalbkugel mit gleicher Stärke entgegengesetzt zum Südpol. Auf den Körper wirken also zwei Kräfte, die sich kompensieren.«
»Eine Null-Gravitationszone«, sagte ich.
»Exakt«, murmelte Brehm. »Aber nicht nur Temperatur und Schwerkraft verändern sich, auch der Luftdruck. Auf der Erdoberfläche messen wir genau eintausend Millibar. Dieser Atmosphärendruck nimmt zu, je tiefer wir uns hinunterbewegen. Die Messung
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