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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Alkohol abgeschworen, kasteite sich und fastete rigoros, bis an die Grenze der Gesundheit. Die anderen Erdfahrer nannten ihn den Priester, da er jeden Abend in der Bibel las und die Kameraden mit dementsprechenden Ratschlägen versorgte.
    Über Rönne gab es nicht viel zu lesen. Der junge Bursche war aus der französischen Fremdenlegion getürmt, hatte auf einem dänischen Walfänger angeheuert und war schließlich in Spitzbergen gelandet. In seinem Hosenbund trug er ständig einen vorsintflutlichen Revolver mit sich herum, sowie das Bajonett eines britischen Soldaten aus dem Burenkrieg, das er ständig mit einem Schleifstein schärfte – was die anderen in den Wahnsinn trieb, wie Brehm behauptete.
    Marit, das Mädchen aus Hammerfest, war achtzehn Jahre alt und damit die jüngste in der Gruppe. Bis auf ihren Tick, im Hundezwinger bei den Huskies zu übernachten, schien sie die einzige Normale in dieser Truppe zu sein. Ich fragte mich, weshalb ein blutjunges Mädchen ihr Leben in einer Station am Ende der Welt mit lauter Verrückten verbringen wollte? Die Notiz auf der nächsten Seite beantwortete diese Frage. Anscheinend war sie aus Hammerfest geflohen, um einer Gerichtsverhandlung zu entkommen, da sie ihren Großvater ziemlich übel zugerichtet hatte. Darüber hinaus hatte sie damit gedroht, jeden krankenhausreif zu schlagen, der auch nur versuchte, in ihre Nähe zu kommen.
    Ich klappte die Mappe zu. Die Zeiten, als ich die Eignungsgespräche geführt hatte, waren längst vorbei. Seit einem halben Jahr kümmerte sich Brehm darum. Wie mir schien, bewies er dabei kein glückliches Händchen. Andererseits wußte ich selbst, daß es verdammt schwierig war, tüchtige Schachtarbeiter für ein paar Monate Arbeit auf der Insel zu verpflichten. Man mußte nehmen, was man bekam – Mörder, Diebe, Glücksspieler, Deserteure oder religiöse Fanatiker. Ein Blinder erkannte, daß die Station von einer wilden Horde geführt wurde und einem Pulverfaß glich. Dazu kam, daß die Arbeit im Schacht eine seelische und körperliche Belastung darstellte, die sogar einen normalen, gefestigten Menschen in den Wahnsinn treiben konnte. Das Schleifen von Rönnes Bajonett oder Gjertsens Bibelsprüche trugen vermutlich dazu bei, daß die Nerven der Leute vollends blank lagen.
    Ich blickte auf die Uhr. Falls sich Brehm an den Zeitplan hielt – auf jener Liste, die im Schachtraum hing – hatte er vor acht Stunden den Dieselmotor auf seiner Gondel in Betrieb genommen. Seitdem kletterte der Käfig mit einer Geschwindigkeit von knapp acht Kilometern in der Stunde aus der Tiefe empor. Eigentlich wollte ich ein paar Notizen in mein Tagebuch schreiben, blickte aber ständig auf die Zeiger, die sich quälend langsam vorwärts bewegten. In einer Stunde würde Brehm bei uns ankommen. Unmittelbar danach mußte ich ein ernstes Wort mit ihm reden. Zwar war er der Projektleiter vor Ort, doch falls es nötig werden sollte, würde ich ihn seines Amtes entheben. Schließlich ging ich ins Kasino, um mir ein Bild von der Mannschaft zu machen.
    Eine Dunstglocke schlug mir entgegen. Obwohl Brehm, der einst so steife Ingenieur der Berliner Motoren-Werke, vor zwei Jahren das völlige Rauch- und Alkoholverbot in der Station eingeführt hatte, war das Kasino komplett vernebelt. Der Boden war speckig, überall standen Flaschen oder lagen Müll- und Essensreste herum, die Akten und Protokolle stapelten sich teilweise völlig durcheinander in den Schränken, und kaputte Werkzeuge türmten sich in den Ecken. An einem Tisch saßen die Erdfahrer und spielten Karten. Es waren die grobschlächtigsten Männer, die ich je gesehen hatte. Wäre ich gleich ins Kasino gegangen, hätte ich mir einen Blick in die Dossiers sparen können. Der Anblick sagte mehr als alle Worte, mit denen man die Truppe je hätte beschreiben können.
    Ich wollte abwarten, bis sie ihre Partie beendet hatten. Also ging ich durch den Raum, schöpfte aus einem Behälter einen Becher Wasser, da es bis auf Milchpulver oder Alkohol nichts anderes zu trinken gab, und setzte mich an einen wackeligen Tisch. Für einen Moment wurde es still, doch nachdem sie mich taxiert hatten, ignorierten sie mich großzügig. Die beiden Muskelpakete mußten die Brüder Björn und Nilsen sein, der eine mit Glatze, der andere mit den fehlenden Fingergliedern. Der Alte mit den hohlen Wangenknochen und eingefallenen Augen war wohl Gjertsen, und der Mann mit dem Revolver vermutlich Rönne. Die fünfte Gestalt hätte ich trotz der

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