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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Kappe nicht mehr recht aufsetzen, so stolz war er auf die zwei Wochen alte Narbe, die sich quer über seine Glatze gezogen hat.
    »Wir alle sind hier versammelt, weil wir voll Sorge sind um unsere Heimatstadt«, hat der General in sein Mikrofon gesagt, da war es noch ganz still im Saal und draußen im Stadion auch noch nicht viel Wirbel, mehr so ein Raunen, weil da ist noch kein Tor gefallen.
    »Die schöne Stadt an der Mur, in der ich geboren und aufgewachsen bin, in der viele von euch geboren oder zumindest aufgewachsen sind und die wir alle noch in Erinnerung haben als Heimatstadt, die uns stets ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermittelte, wo wir unsere Frauen, wo wir unsere Kinder gut aufgehoben wussten, weil eine Nachbarschaftshilfe noch existierte, weil es ein Miteinander noch gab, weil es eine gemeinsame Sprache noch gab, weil man nicht einen Passanten auf der Straße, den man um eine Auskunft bitten wollte, zuerst einmal fragen musste, sprechen Sie Deutsch -«
    An dieser Stelle ist zum ersten Mal Unruhe, ein kaum hörbares Murmeln unter den Zuhörern aufgekommen.
    »- weil eine Frau, ein Kind auf offener Straße nicht dreisprachig um Hilfe rufen musste, damit es vielleicht doch einmal verstanden wird -«
    Klein und gebückt ist der General am Podium hin- und hergegangen, und der hat ganz leise, fast schüchtern in sein Mikrofon hineingeredet, ohne Zettel, alles frei gesagt, fast zurückhaltend, als wäre es nur eine Probe, als wollte er auf keinen Fall irgendjemanden aufstacheln, aber der hat die Männer derart in Spannung versetzt, dass denen jetzt die ersten Rufe und Klatscher ausgekommen sind, und man hätte wirklich glauben können, das immer stärker werdende Raunen draußen, der unterdrückte Jubel, wenn ein Ball knapp daneben gegangen ist, die Sprechchöre der fünfzehntausend Stadionbesucher gelten auch dem General, die Fünfzehntausend haben nur keine Karten mehr bekommen für die Veranstaltung mit dem General, jetzt müssen sie von draußen zuhören.
    »- weil!«, hat der General jetzt zum allerersten Mal seine Stimme eine Spur angehoben und ins Publikum geschaut, »noch nicht an jeder Kreuzung ein Drogenhändler, ein Bettler, ein Zigeuner, ein Neger gestanden ist -«
    Mein lieber Schwan, jetzt ist es losgegangen im Saal unten, die begeisterten Zwischenrufe und der Szenenapplaus haben den General gezwungen, eine kurze Pause zu machen, während der er konzentriert in den Boden hineingestarrt hat, und jetzt hätte er sich ganz einfach zurücklehnen und den Applaus genießen und es sich sparen können, den vor drei Minuten begonnenen Satz wirklich noch zu beenden, aber der General streng zu sich selber, streng zu Graz, streng zu seinen Sätzen, jetzt ist er den Jubelrufern direkt ein bisschen in die Parade gefahren:
    »- dieses Graz! Meine Herren, diese unsere Heimatstadt, der wir so viel verdanken, braucht unsere Hilfe.«
    Dann ein Applaus, da hätte man direkt Angst um den General kriegen können, weil viel hat nicht gefehlt, und die Hobbypolizisten hätten die Bühne gestürmt und den dürren General so lange in die Luft geworfen, bis sie ihm noch den letzten Knochen gebrochen hätten.
    Aber es wäre nicht der General gewesen, wenn er nicht auch das in den Griff bekommen hätte. Er hat dann, nachdem die Runde sich wieder halbwegs beruhigt hat, nur mehr ein paar Sätze gesagt, lobende Worte für die Tüchtigkeit der Hobbypolizisten und vor allem für den geschäftsführenden Brigadier Würnitzer, der alles so wunderbar aufgebaut hat, und dann hat der junge Trafikant und Hobbybrigadier Würnitzer selber das Wort ergriffen.
    Der Würnitzer ist für seine Rede ebenfalls aufgestanden, auch ein bisschen hin- und hergegangen, auch ein bisschen die Schultern eingezogen, quasi bescheiden, und man hat sogar das Gefühl gehabt, er redet ganz gleich wie der General, bis hinein in die Betonung der Wörter. Wie der »Sicherheit« gesagt hat, wie der »Drogen« und »Heimat« ausgesprochen hat, da hätte man glauben können, die haben sich beim selben Schönheitschirurgen eine neue Zunge einsetzen lassen.
    Die Stimmung ist von Minute zu Minute besser geworden, der Würnitzer oben immer mehr »Drogen«, immer mehr »unsere Frauen, unsere Kinder«, immer mehr »Sicherheit«, die Männer unten immer mehr Bier, und im Stadion draußen immer mehr unterdrückter Freudentaumel, immer mehr knapp vergebene Torchancen, aber akustisch hat man natürlich nicht sagen können: für die Wiener oder für die

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