Das Exil Der Königin: Roman
gab eine ganze Menge zu lernen über das Aufstehen und Hinsetzen, wie groß die Portion war, die man nehmen durfte, wie viel man liegen lassen musste, welches Essen man in welcher Reihenfolge nehmen musste, welche Utensilien man dafür benutzte, wohin man die Serviette tat und wie man sich das Gesicht abtupfte – keinesfalls abwischte. Und während der ganzen Zeit musste man auch noch Konversation betreiben. Und jedes Mal, wenn Han ein Wort im Slang der Straße falsch betonte, hielt Rebecca ihre Hand auf.
Am Ende war Han um einiges ärmer, und in seinem Kopf drehte sich alles.
»Kommt es jemals vor, dass ihr einfach erstarrt, weil ihr vergessen habt, was ihr tun müsst?«, fragte er. »Seid ihr jemals so hungrig und genervt, dass ihr einfach mit euren Händen zulangt? Oder kommt es vor, dass ihr irgendwo feststeckt, wo euch nichts mehr einfällt, das ihr noch sagen dürftet?«
»Nun … Einige Damen suchen in der Ohnmacht Zuflucht. Die Männer sind auf sich gestellt«, sagte Rebecca ernst.
Han lachte. »Und ich dachte, das Leben auf der Straße wäre hart. Ich hatte ja keine Ahnung.«
Draußen läuteten die Glocken zehn Mal. Fast zwei Stunden waren wie im Flug vergangen.
»Wir treffen uns dann am Donnerstag wieder, und ich erwarte, dass du pünktlich bist«, sagte Rebecca. »Lies Kapitel vier bis sechs. Am Donnerstag werden wir uns über die Regeln der Erbfolge und die einzelnen Klassen des Adels unterhalten. Abgesehen davon werde ich dich zu den Tischmanieren befragen.«
»Darf ich eine Frage stellen?«, fragte Han, obwohl er wusste, dass er in die Bayar-Bibliothek gehen und sich mit Crow treffen sollte.
»Nun, die Zeit ist fast vorbei … Was gibt es?«
»Wie lauten die Regeln fürs Ausgehen?« Han blätterte in seinem Buch. »Gibt es auch darüber ein Kapitel?«
»Was genau meinst du?«, fragte Rebecca, obwohl er vermutete, dass sie ihn sehr wohl verstand.
»Ausgehen. Du weißt schon, den Hof machen. Heiraten. So was in der Art. Es muss Regeln dafür geben. Wer geht mit wem aus. Wer kann wen heiraten. Wen darf man küssen und wie oft, und wer fängt an.« Er sah sie geradewegs an, und ihre Wangen röteten sich.
»Natürlich gibt es dafür Regeln. Es gibt für alles Regeln.« Sie erhob sich abrupt und machte einen tiefen Knicks, was bedeutete, dass sie ihm nicht sagen würde, wie diese Regeln lauteten.
Er stand ebenfalls auf und brachte eine recht gute Verbeugung zustande. »Danke, Rebecca, dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu unterrichten. Ich habe schon viel gelernt.«
Sie ging voraus und schritt mit hoch erhobenem Kopf und aufgerichtetem Rücken die Treppe hinunter. Sie waren fast unten angekommen, als jemand rief: »He, Rebecca!«
Rebecca blieb so abrupt stehen, dass Han gegen sie prallte. Er hielt sie an den Armen fest, damit sie nicht vornüber stürzte.
Zwei Kadetten von Wien House saßen an einem Tisch ganz in der Nähe, beide mit einem dicken Grinsen im Gesicht. Die eine trug Fakultätsstreifen auf ihrer Uniform.
»Hallo, Talia«, sagte Rebecca und verschluckte sich fast daran. »Hallo, Pearlie.«
Sie hoben ihre Krüge. »Wer ist denn dein Freund?«, fragte Talia und winkte.
»Mein Freund?«, fragte Rebecca und tat, als wüsste sie nicht, wen sie meinte. »Oh.« Sie warf einen Blick über die Schulter zu Han, als wäre sie überrascht, ihn dort vorzufinden. »Das ist – äh – Han. Alister. Ich kenne ihn von zu Hause.«
»Nett, euch zu treffen«, sagte Han und nickte Pearlie und Talia zu.
»Wow, Rebecca.« Jetzt wurde Talias Lächeln sogar noch breiter. »Ein Abstecher ins Abenteuer, was?«
Rebecca schien zu glauben, dass es nötig war, die Situation näher zu erklären. »Er – äh – ich unterrichte ihn.«
»Das tut sie«, unterstützte Han sie ernst. »Sie ist sehr gut. Ich lerne viel.«
Pearlie kicherte. »Und in was unterrichtet sie dich?«
»Na ja«, sagte Han. »Wir hopsen viel rum.«
Die beiden Kadetten brüllten vor Lachen, aber Rebecca wirkte ganz und gar nicht erheitert. Sie stapfte geradewegs auf die Tür zu und schritt hinaus, ohne sich noch einmal nach ihren Freundinnen umzusehen.
Crow offenbarte ein gewisses hochmütiges Interesse an Hans Unterricht mit Rebecca. »Wer ist diese junge Frau? Wie hast du sie gefunden?«
»Ihr Name ist Rebecca Morley«, erzählte Han. »Sie hat als Hauslehrerin bei einer adeligen Familie gearbeitet. Ich habe sie zu Hause kennengelernt, bevor ich hierhergekommen bin.«
»Eine Hauslehrerin «, wiederholte Crow
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