Das Experiment
Recht darauf habe, wenigstens ungefähr zu wissen, was du in diesem Superlabor vor hast. Schließlich verschlingt es einen Haufen Geld, und ich muß zumindest in etwa voraussehen können, wie hoch unser Finanzbedarf sein wird.«
Edward atmete laut aus und beruhigte sich ein wenig. »Wenn du wissen willst, was wir in dem Labor anstellen werden, klingt das schon etwas anders. Eben bist du hier reingeplatzt und wolltest auf der Stelle von mir wissen, wann wir die Zulassung für Ultra in der Tasche haben.«
»Tut mir leid, daß ich so ein Trampel bin«, entschuldigte sich Stanton. »Aber ich habe im Moment einen ziemlichen Bammel. Ich habe noch nie mein ganzes Geld in eine einzige Firma investiert und dann mit ansehen müssen, wie es in Windeseile ausgegeben wird.«
»Du hast dein Geld auf jeden Fall klug investiert«, beruhigte Edward ihn. »Bald werden wir beide Milliardäre sein. Ultra ist eine Wahnsinnsentdeckung. Da bin ich mir absolut sicher. Komm mal mit, ich zeige dir das Labor. Das wird dich etwas beruhigen.«
Kim seufzte erleichtert, als sie den beiden Männer nachsah, die einträchtig über das Feld zum Labor hinübergingen. Stanton hatte sogar seinen Arm um Edwards Schulter gelegt. Dann sah sie sich in ihrem neuen Zuhause um. Zu ihrer eigenen Überraschung regte sie das Umzugschaos nicht im geringsten auf. Statt dessen spürte sie in der Stille des Cottage ganz plötzlich die Nähe von Elizabeth; wieder hatte sie das deutliche Gefühl, daß sie versuchte, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Doch sosehr sie sich auch bemühte – sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was Elizabeth ihr mitteilen wollte. Aber sie hatte in diesem Moment keinen Zweifel, daß ein Teil von Elizabeth in ihr selbst weiter existierte und daß ihr neues Zuhause in gewisser Weise immer noch das ihrer Vorfahrin war.
Während Kim darüber nachdachte, schauderte sie. Irgendwie schien die Botschaft von Elizabeth etwas Bedrohliches zu enthalten.
Ohne sich um die vorrangigen Aufgaben zu kümmern, riß Kim hastig das restaurierte Portrait Elizabeths aus der Verpackung und hängte es über den Kamin. Da die Wände frisch gestrichen waren, war die alte Stelle nicht mehr zu erkennen. Kim schätzte die Höhe ab; sie wollte es genau an dem Platz aufhängen, an dem es auch schon vor dreihundert Jahren die Wand geziert hatte.
Sie ging einen Schritt zurück und betrachtete das Portrait. Schockiert stellte sie fest, wie lebendig es plötzlich wirkte. In besserem Licht hatte sie das Gemälde für primitiv gehalten. Doch in dem nachmittäglichen Dämmerlicht, das zu dieser Stunde ins Cottage fiel, wirkte es gänzlich anders. Im Schatten der Nachmittagssonne leuchteten die grünen Augen Elizabeths eindringlich.
Ein paar Minuten blieb Kim wie gebannt in der Mitte des Raumes stehen und starrte das Bild an; in gewisser Weise war es so, als würde sie in einen Spiegel sehen. Während sie in Elizabeths Augen blickte, spürte Kim intensiver denn je, daß ihre Vorfahrin versuchte, über die Jahrhunderte hinweg Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Das Portrait strahlte etwas Mystisches aus, das sie dazu brachte, alle Kisten unausgepackt stehenzulassen und in die Burg hinüberzufahren. Trotz der vielen frustrierenden und unergiebigen Stunden, die sie schon in ihre Recherche gesteckt hatte, verspürte sie plötzlich den unwiderstehlichen Drang, es noch einmal zu versuchen. Elizabeths Portrait hatte ihre Neugier wieder entfacht. Sie wollte alles daransetzen, die Vergangenheit ihrer geheimnisvollen Vorfahrin zu ergründen.
Voller Elan erklomm sie die Stufen zum Dachboden. Es kam ihr vor, als würde sie von übernatürlichen Kräften geleitet. Schnurstracks steuerte sie auf einen alten Überseekoffer zu.
Das erste Buch, das sie in die Hand nahm, enthielt ein Verzeichnis über verschiedene Schiffsinventare. Es stammte aus dem Jahr 1862. Direkt darunter lag ein größeres, primitiv gebundenes Notizbuch, an dem ein Brief klemmte. Der Brief war an Ronald Stewart adressiert!
Sie erinnerte sich, mit welcher Sorgfalt die Bibliothekarinnen der Harvard University den Brief von Increase Mather angefaßt hatten; deshalb bemühte sie sich, das Papier nun ebenfalls nur noch mit den Fingerspitzen zu berühren. Das vergilbte Blatt ließ sich kaum auseinanderfalten. Es war nur eine kurze Notiz. Als Kim einen Blick auf das Datum warf, schwand ihre Vorfreude wieder dahin. Der Brief war aus dem achtzehnten Jahrhundert.
16. April 1726
Boston
Lieber Vater,
in Beantwortung
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