Das Experiment
Es gibt ein Problem. Stanton ist auf dem Kriegspfad, es geht wieder um Geld, und er ist schon hierher unterwegs. Wir haben eigentlich keine Zeit, mit ihm zu sprechen, schon gar nicht im Labor, wo er mit Sicherheit von jedem hören will, was er genau macht. Außerdem sind alle überarbeitet und ziemlich gereizt. Es gibt ohnehin schon dauernd Streitereien. Ich komme mir manchmal wie ein Kindermädchen vor. Jedenfalls möchte ich, daß das Gespräch im Cottage stattfindet. Die Abwechslung wird allen guttun. Und um Zeit zu sparen, dachte ich, könnten wir es mit dem Essen verbinden. Könntest du vielleicht eine Kleinigkeit zum Abendessen vorbereiten?«
Zuerst dachte Kim, er mache sich über sie lustig, aber als sie dann begriff, daß das nicht der Fall war, sah sie auf die Uhr. »Es ist schon nach fünf«, bemerkte sie.
»Wenn du dich nicht versteckt hättest, hätte ich dich bereits um halb fünf gefunden«, sagte Edward.
»Ich kann jetzt nicht mehr ein Abendessen für acht Leute machen«, sagte Kim.
»Warum nicht?« wollte Edward wissen. »Es braucht ja kein Festmahl zu sein. Meinetwegen läßt du Pizza kommen. Davon leben wir eh schon die ganze Zeit. Aber wir müssen was in den Bauch kriegen. Bitte, Kim. Du mußt mir helfen. Ich bin am Durchdrehen.«
»Also gut«, sagte Kim wider besseren Wissens. Sie sah, daß Edward ziemlich gestreßt war. »Etwas Besseres als eine Pizza kommen zu lassen schaffe ich schon, aber es wird bestimmt kein Feinschmeckermenü.« Kim nahm den Sewall-Brief und folgte Edward nach draußen.
Als sie die Treppe hinuntergingen, reichte sie ihm den Brief und erklärte ihm, um was es sich handelte. Er gab ihn ihr zurück.
»Im Augenblick habe ich keine Zeit für Samuel Sewall.«
»Es ist aber wichtig«, widersprach Kim. »Das erklärt, wie Ronald es fertiggebracht hat, Elizabeths Namen aus den historischen Aufzeichnungen zu entfernen. Er hat das nicht allein getan. Jonathan Corwin und Cotton Mather haben ihn dabei unterstützt.«
»Ich lese den Brief später«, sagte Edward.
»Es gibt da eine Stelle, die dich vielleicht interessieren wird«, sagte Kim. Sie waren inzwischen an der großen Freitreppe angelangt. Edward blieb unter dem rosa getönten Mosaikfenster stehen. In dem gelblichen Licht wirkte er besonders blaß. Kim fand, daß er beinahe krank aussah.
»Also schön«, sagte Edward leicht gereizt. »Zeig her, was ich so interessant finden könnte.«
Kim gab ihm den Brief und deutete auf den letzten Satz.
Edward blickte Kim an, nachdem er gelesen hatte. »Und?« fragte er. »Das wissen wir doch bereits.«
»Wir schon«, nickte Kim, »aber wußten sie das? Ich meine, wußten die über den Schimmelpilz Bescheid?«
Edward las den Satz ein zweites Mal. »Nein, das können sie nicht gewußt haben«, sagte er dann. »Die hatten damals weder Mittel und Vorrichtungen noch das Wissen dazu.«
»Wie erklärst du dir diesen Satz dann?« fragte Kim. »Weiter oben in dem Brief hat Sewall eingeräumt, daß er hinsichtlich der anderen verurteilten Hexen Fehler gemacht habe, aber nicht bei Elizabeth. Die wußten alle etwas, was wir nicht wissen.«
»Damit sind wir wieder bei dem geheimnisvollen Beweisstück«, sagte Edward. Er gab ihr den Brief zurück. »Das ist interessant, aber nicht für meine Zwecke, und ich habe jetzt wirklich keine Zeit dafür. Ich habe bereits genug um die Ohren, auch ohne daß Stanton mir jetzt auf den Geist gehen muß. Wenn das so weitergeht, bin ich bald reif für die Klapsmühle!«
»Und lohnt sich der ganze Aufwand?« fragte Kim.
Edward sah Kim ungläubig an. »Natürlich lohnt er«, sagte er gereizt. »Die Wissenschaft verlangt Opfer, das wissen wir alle.«
»Das klingt jetzt aber weniger nach Wissenschaft als nach Wirtschaft«, sagte Kim. Darauf gab Edward keine Antwort.
Vor der Burg ging Edward geradewegs zu seinem Wagen. »Wir sind um Punkt halb acht beim Haus«, rief er ihr noch über die Schulter zu, ehe er zum Labor zurückfuhr.
Kim stieg in ihren Wagen, trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und überlegte, was sie zum Abendessen machen sollte. Jetzt, da Edward weg war und sie Zeit zum Nachdenken hatte,war sie über sich selbst verärgert und enttäuscht, daß sie nicht nein gesagt hatte.
Kim erkannte ihr Verhalten sehr wohl, und es gefiel ihr nicht. Indem sie so nachgiebig war, fiel sie wieder in ihr kindliches Beschwichtigungsverhalten zurück, das sie immer ihrem Vater gegenüber an den Tag gelegt hatte. Aber das zu erkennen und etwas dagegen zu
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