Das Experiment
Stunde wieder.«
Ronald trat so fest gegen die Tür, daß sie beinahe aus den Angeln flog und William zur Seite geschleudert wurde. Dabei schwappte ein Teil der Schleimsuppe über, die er in einem Eimer bei sich trug.
»Ich will sie jetzt sehen!« fauchte Ronald den Wärter an.
»Das werde ich dem Richter melden«, beschwerte sich William. Doch er stellte seinen Eimer ab und führte Ronald zu der Tür, die in den Keller führte.
Wenige Minuten später ließ Ronald sich neben Elizabeth nieder und berührte sie sanft an der Schulter. Als sie ihre Augen öffnete, fragte sie als erstes nach den Kindern.
»Ich habe sie immer noch nicht gesehen«, mußte Ronald gestehen. »Aber ich habe gute Nachrichten. Ich habe mit Samuel Sewall und mit Reverend Cotton Mather gesprochen. Sie glauben, daß der Gouverneur dir vielleicht eine Gnadenfrist gewährt.«
»Gott sei Dank«, erwiderte Elizabeth. Ihre Augen funkelten im Kerzenlicht.
»Aber du mußt dich schuldig bekennen«, fuhr Ronald fort, »und du mußt die Namen anderer nennen, von denen du weißt, daß sie im Bund mit dem Teufel sind.«
»Wessen soll ich mich denn schuldig bekennen?« fragte Elizabeth.
»Der Hexerei«, erwiderte Ronald verzweifelt. Er war so nervös und erschöpft, daß ihm die Ungeheuerlichkeit dieser Anschuldigung gar nicht mehr bewußt war.
»Ein solches Geständnis kann ich nicht ablegen«, sagte Elizabeth.
»Und warum nicht?« fragte Ronald schrill.
»Weil ich keine Hexe bin«, antwortete Elizabeth.
Einen Augenblick lang starrte Ronald seine Frau nur an und ballte vor Verzweiflung die Fäuste.
»Ich kann doch nicht lügen«, durchbrach Elizabeth das angespannte Schweigen. »Ich werde mich auf keinen Fall der Hexerei schuldig bekennen.«
Das war zuviel für Ronald, er bekam einen Wutanfall. Er schmetterte seine Faust in die Handfläche und kam mit seinem Gesicht ganz nah an das von Elizabeth heran. »Du wirst ein Geständnis ablegen«, fauchte er. »Ich befehle dir, dich der Hexerei schuldig zu bekennen.«
»Mein geliebter Mann«, begann Elizabeth; sie ließ sich durch Ronalds Drohgebärden nicht einschüchtern. »Hat man dir von dem Beweisstück berichtet, auf Grund dessen ich verurteilt wurde?«
Ronald richtete sich auf und sah kurz zu William hinüber. Es war ihm peinlich, daß der Wärter die Unterhaltung mitverfolgte. Er befahl ihm zu verschwinden, woraufhin William den Suppeneimer nahm und seine Runde durch den Keller fortsetzte.
»Ich habe den Beweis mit meinen eigenen Augen gesehen«, sagte Ronald, als William außer Hörweite war. »Reverend Mather bewahrt ihn bei sich zu Hause auf.«
»Ich habe anscheinend gegen die Gebote Gottes verstoßen«, sagte Elizabeth. »Dazu könnte ich mich auch bekennen, wenn ich nur wüßte, welche Sünde ich auf mich geladen habe. Aber ich bin keine Hexe, und ich habe mit Sicherheit keinem der Mädchen, die gegen mich ausgesagt haben, irgendein Leid zugefügt.«
»Dann bekenne dich einfach nur zum Schein der Hexerei schuldig, damit sie dir die Gnadenfrist gewähren«, flehte Ronald sie an. »Ich will doch dein Leben retten.«
»Aber ich kann nicht mein Leben retten und dabei gleichzeitig meine Seele verlieren«, beharrte Elizabeth. »Wenn ich lüge, spiele ich dem Teufel in die Hände. Außerdem kenne ich keine einzige Hexe, und ich kann unmöglich eine unschuldige Person anschwärzen, um meine eigene Haut zu retten.«
»Du mußt gestehen!« schrie Ronald sie an. »Wenn du nicht gestehst, muß ich dich aufgeben.«
»Tu, was dein Gewissen dir befiehlt«, erwiderte Elizabeth. »Ich werde mich jedenfalls nicht der Hexerei schuldig bekennen.«
»Bitte«, flehte Ronald sie an und änderte sein Taktik. »Tu es den Kindern zuliebe.«
»Wir müssen dem Herrn vertrauen«, entgegnete Elizabeth.
»Der Herr hat uns verlassen«, klagte Ronald, während ihm Tränen über das staubverschmierte Gesicht liefen.
Mit aller Kraft hob Elizabeth ihre angekettete Hand und legte sie Ronald auf die Schulter. »Verlier nicht den Mut, mein geliebter Mann. Gottes Ratschlüsse sind unerforschlich.«
Das war zuviel für Ronald. Er sprang auf und stürmte aus dem Gefängnis.
Dienstag, 19. Juli 1692
Nervös verlagerte Ronald sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er stand am Rande des Prison Lane, nicht weit vom Gefängnis entfernt. Auf seiner Stirn, die von der breiten Krempe seines Hutes verdeckt wurde, hatten sich Schweißperlen gebildet. Es war ein drückend heißer und diesiger Tag, und obwohl sich
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