Das Experiment
überall erwartungsvolle Menschen drängten, hatte sich eine bedrohliche Stille über die Stadt gelegt. Sogar die Möwen waren verstummt, ganz Salem schien den Atem anzuhalten. Alle warteten darauf, daß der Wagen in Sicht kam.
Ronalds Nerven lagen bloß, und seine Gedanken waren wie gelähmt; er war gleichzeitig ängstlich, traurig und panisch. Es war ihm ein Rätsel, womit er und Elizabeth dieses Unglück verdient hatten; was hatten sie nur falsch gemacht? Am Tag zuvor, als er Elizabeth ein letztes Mal zur Zusammenarbeit hatte überreden wollen, hatte der Richter ihm den Zutritt zum Gefängnis verwehrt. Bis dahin hatte er ihr immer wieder gut zugeredet, sie angefleht und ihr sogar gedroht – doch er hatte sie nicht umstimmen können. Sie wollte kein Geständnis ablegen.
Vom abgeschiedenen Gefängnishof hörte Ronald jetzt das metallische Klappern, das die Eisenfelgen auf dem Granit-Kopfsteinpflaster verursachten. Kurz darauf konnte er den Wagen sehen. Auf der Ladefläche standen fünf Frauen, die sich eng aneinanderpreßten. Sie waren noch immer angekettet. William Dounton lief hinter dem Wagen her; er grinste zufrieden, denn er freute sich darauf, die Gefangenen dem Henker auszuliefern.
Plötzlich erhob sich Freudengeschrei und lautes Gejohle; die Gaffer erklärten das Spektakel für eröffnet. Die Kinder sprudelten über vor Energie und begannen ihre Lieblingsspiele zu spielen, währen die Erwachsenen scherzten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften. Wie beinahe immer, wenn jemand gehängt wurde, versprach der Tag für die Gaffer ein Festtag zu werden. Das galt natürlich nicht für Ronald und für die Familien und Freunde der anderen Opfer.
Da Ronald von Reverend Mather darauf vorbereitet worden war, überraschte es ihn nicht, daß er Elizabeth nicht auf dem Wagen sah; es stimmte ihn aber auch nicht zuversichtlich. Der Geistliche hatte ihm erzählt, daß Elizabeth erst zum Schluß hingerichtet werden würde, wenn der Blutdurst der Meute durch die Hinrichtung der ersten fünf Frauen bereits gestillt sein würde. Man wollte so einer Massenhysterie vorbeugen, vor allem bei denen, die von dem gegen Elizabeth verwendeten Beweisstück gehört oder es sogar gesehen hatten.
Als der Wagen an Ronald vorbeirumpelte, sah er in die Gesichter der Verurteilten. Sie wirkten alle gebrochen und mutlos. In Anbetracht des Schicksals, das ihnen unmittelbar bevorstand, war das kein Wunder. Ronald erkannte nur zwei der Frauen: Rebecca Nurse und Sarah Good. Sie waren beide aus Salem Village. Die anderen stammten aus benachbarten Ortschaften. Ronald wußte, daß Rebecca Nurse eine fromme Frau war; daß ausgerechnet sie auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung an ihm vorbeifuhr, erinnerte ihn an die Warnung Reverend Mathers, wie leicht die Hexenprozesse von Salem außer Kontrolle geraten könnten.
Als der Wagen die Essex Street erreichte und nach Westen abbog, lief die Meute ihm hinterher. Reverend Cotton Mather stach deutlich aus der Menge hervor, weil er der einzige war, der auf einem Pferd gekommen war.
Eine halbe Stunde später hörte Ronald im Innenhof des Gefängnisses erneut das verräterische Gerumpel der schweren Räder. Der zweite Wagen kam in Sicht. Auf der Ladefläche hockte Elizabeth, den Kopf zu Boden gesenkt. Ihre Eisenketten waren so schwer, daß sie sich nicht aufrecht halten konnte. Auch als der Wagen an Ronald vorbeifuhr, blickte Elizabeth nicht auf. Ronald rief sie nicht an. Sie hätten ohnehin nicht gewußt, was sie sich noch hätten sagen sollen.
Er folgte dem Wagen in einigem Abstand. Sein Alptraum wurde Wirklichkeit. Er hatte gemischte Gefühle, was seine Anwesenheit betraf. Einerseits wollte er am liebsten die Flucht ergreifen und sich vor der Welt verstecken, andererseits wollte er Elizabeth bis zum bitteren Ende begleiten.
Im Westen von Salem Town, direkt hinter der Town Bridge, bog der Wagen von der Hauptstraße ab, um sich zum Galgenhügel emporzuquälen. Der Weg führte durch dorniges Gestrüpp und ging dann in einen Felskamm über, an dem hier und dort ein paar vereinzelte Eichen und Robinien wuchsen. Schließlich blieb der Wagen mit Elizabeth neben dem ersten Wagen stehen, der inzwischen leer war.
Ronald wischte sich den Schweiß von der Stirn und trat hinter dem Wagen hervor. Vor sich sah er die johlende Menschenmenge, die sich um eine der größeren Eichen versammelt hatte. Im Hintergrund erblickte er Cotton Mather, der immer noch auf seinem Pferd saß. Unter dem Baum standen die
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