Das Experiment
Männer erklärten, daß ihnen langsam die Augen weh taten, erklärte sich Kim bereit, endlich Feierabend zu machen. Die Männer begleiteten sie noch zum Auto, bedankten sich für ihren Besuch und versprachen, das Projekt zügig voranzutreiben.
Als Kim den Ortseingang von Cambridge erreichte, versuchte sie gar nicht erst, einen Parkplatz auf der Straße zu finden. Sie steuerte direkt das Charles-Parkhaus an und ging von dort zu Fuß zur Harvest Bar hinüber. Wie an jedem Freitagabend war die Bar brechend voll; die meisten Gäste waren schon zur Happy Hour gekommen.
Kim hielt Ausschau nach Edward, doch sie konnte ihn nirgendwo sehen. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, diesich an der Theke drängelte. Schließlich entdeckte sie Edward an einem Tisch; er nippte gerade an seinem Weißwein. Als er sie kommen sah, strahlte er und sprang auf, um ihr einen Stuhl zurechtzurücken.
»Du siehst so aus, als könntest du ein Glas Wein vertragen«, sagte Edward nach der Begrüßung.
Kim nickte. Sein leichtes Stottern verriet ihn; Edward war entweder aufgeregt oder unsicher. Sie beobachtete ihn, während er die Kellnerin heranwinkte und zwei Gläser Wein bestellte. Dann wandte er sich an Kim.
»Hattest du einen schönen Tag?« fragte er.
»Es war ziemlich anstrengend«, erwiderte Kim. »Und wie war es bei dir?«
»Ich hatte einen großartigen Tag!« platzte er heraus. »Ich habe gute Nachrichten für dich. In den Schmutzproben, die wir von den Vorratskisten im Keller gekratzt haben, war tatsächlich ein Schimmelpilz, der eine halluzinogene Wirkung hervorruft. Ich glaube, wir sind ein ganzes Stückchen weiter und wissen nun, was wahrscheinlich damals den Anstoß für die Hexenhysterie von Salem gegeben hat. Jetzt müssen wir nur noch klären, ob der Pilz auch Mutterkornvergiftungen, also Ergotismus, hervorrufen kann; oder ob er womöglich in einer noch völlig unbekannten Art und Weise wirkt.«
Dann erzählte Edward ihr von seinem aufregenden Morgen in Kevins Büro.
Kim hörte fassungslos zu. »Du hast ein Mittel geschluckt, von dem du nicht wußtest, wie es wirken würde?« fragte sie besorgt. »War das nicht gefährlich?«
»Du redest genau wie Kevin«, zog Edward sie auf. »Offenbar bin ich von lauter Leuten umgeben, die sich Sorgen um mich machen. Aber dieser kleine Selbstversuch war wirklich vollkommen harmlos. Schließlich war die Dosis minimal. Allerdings kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß dieser neue Pilz eine ziemlich stark berauschende Wirkung hat, wenn man bedenkt, wie diese winzige Menge bei mir gewirkt hat.«
»Ich finde es trotzdem verantwortungslos, was du da gemacht hast«, sagte Kim.
»Das siehst du falsch«, entgegnete Edward. »Heute nachmittag habe ich eine Urinuntersuchung und eine Kreatininwertbestimmung durchführen lassen; sonst hätte Kevin keine Ruhe gegeben. Beide Tests waren in Ordnung. Mir geht es prächtig, glaub mir. Es geht mir sogar besser denn je. Ich bin regelrecht in Hochstimmung. Zuerst habe ich ja gehofft, daß dieser neue Pilz die gleiche Alkaloidmischung enthält wie der Claviceps; dann hätten wir nämlich den Beweis gehabt, daß damals tatsächlich eine Epidemie die Ursache des Übels gewesen ist. Inzwischen hoffe ich aber, daß der Pilz eigene Alkaloide produziert.«
»Was sind denn Alkaloide?« fragte Kim. »Der Begriff kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich könnte ihn nicht genau definieren.«
»Alkaloide sind stickstoffhaltige Verbindungen pflanzlicher Herkunft«, erklärte Edward. »Es gibt jede Menge davon. Die bekanntesten sind zum Beispiel Coffein, Morphin und Nikotin. Wie du dir sicher vorstellen kannst, sind die meisten Alkaloide pharmakologisch aktiv.«
»Und warum bist du so scharf darauf, neue Alkaloide zu entdecken?« wollte Kim wissen.
»Weil ich bereits nachgewiesen habe, daß das Alkaloid aus diesem Pilz auf die Psyche wirkt«, erklärte Edward. »Die Entdeckung einer neuen Substanz mit halluzinogener Wirkung kann dabei helfen, die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen. Halluzinogene imitieren nämlich die Neurotransmitter des Gehirns; sie sind ihnen sehr ähnlich.«
»Und wann weißt du, ob du neue Alkaloide entdeckt hast?« fragte Kim.
»Bald«, erwiderte Edward. »Aber jetzt erzähl mir mal von deinem Tag.«
Kim atmete einmal tief durch und berichtete Edward, was sie alles erlebt hatte. Sie begann mit dem unerfreulichen Gespräch, das sie mit ihrem Vater geführt hatte, und endete mit einer Beschreibung der neuen Küche und des
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