Das Experiment
ihm in Fetzen vom Leib.
„Ich muss ihn aufhalten, bevor es zu spät ist.“
Er stieß sie aus dem Weg und rannte in den Flur.
„Aufhalten?“ rief sie ihm nach. „Wen musst du aufhalten?“ Sie folgte ihm, konnte ihn aber nicht einholen. Er war bereits im Erdgeschoss angekommen und stürmte ins Esszimmer.
„Phillip! Bleib sofort stehen und sprich mit mir!“
Er reagierte nicht. Entsetzt rannte sie nach unten und wäre beinahe hingefallen, wenn sie sich nicht am Geländer festgehalten hätte. Als sie das Esszimmer erreicht hatte, sah sie, dass er den Inhalt einer Schublade des Sideboards auf dem Boden verstreut hatte.
„Phillip, Darling, was um alles in der Welt …“
Er hielt ein Messer in der Hand.
Oh Gott, oh Gott! Ich brauche Emile. Es ist alles schief gegangen.
Ihr fiel ein, dass Emile nicht in der Nähe war. Er war nie da, wenn sie ihn brauchte. Sie atmete tief durch und streckte die Hand aus.
„Darling, gib deiner Mutter das Messer. Es ist sehr scharf, und du möchtest dich bestimmt nicht verletzen.“
Phillip lachte laut auf. „Da irrst du dich“, sagte er und hielt die Messerspitze an seinen Hals. „Ich will, dass das alles ein Ende nimmt. Ich will, dass es aufhört.“
Er drückte die Klinge tief genug ins Fleisch, dass ein Tropfen Blut auf den Stahl lief.
„Nein!“ schrie Lucy und sank auf die Knie. „Bitte, Phillip, Darling. Egal, was nicht stimmt, wir können es lösen. Ich flehe dich an! Sag mir, was es ist, und ich sorge dafür, dass es aufhört. Ich schwöre es dir!“
Tränen liefen über sein Gesicht und vermischten sich mit dem Dreck, den er gar nicht erst abgewaschen hatte.
„Das kannst du nicht, Mutter. Aber ich kann es. Seit einiger Zeit bin ich jeden Morgen, wenn ich aufwache, von einer Gewissheit erfüllt, die ich früher nicht gekannt habe.“
Sie schnappte nach Luft. Das Band. Sie hatte ihm Emiles Band vorgespielt.
„Aber es hatte dir doch helfen sollen“, flüsterte sie bestürzt.
„Was? Was redest du da?“ tobte Phillip. „Nein! Sag es mir nicht! Ich will es nicht wissen, ich bin derjenige, der jetzt das Sagen hat.“
Tu es nicht!
Die Panik in der Stimme war nicht zu überhören.
„Jetzt kannst du betteln!“ kreischte Phillip und spielte mit dem Messer.
Lucy zog sich in eine Ecke des Zimmers zurück, da sie sicher war, dass er sie töten würde.
„Ich liebe dich, Sohn. Bitte, hör auf, bevor es zu spät ist“, flehte sie ihn an.
Hör auf sie, du Idiot! Sie liebt dich! Willst du etwa deiner Mutter Kummer machen?
„Nicht wirklich“, sagte Phillip und begann zu kichern. „Aber ich will dir Kummer machen.“
Er stieß sich das Messer in den Hals und durchbohrte die Halsschlagader. Das Blut, das in kurzen Schüben aus der Wunde schoss, spritzte auf das Sideboard, den Tisch, den Boden und sogar in Lucys Gesicht.
Das Lächeln in Phillips Gesicht schwand in dem Maß, in dem das Leben aus seinen Augen wich. Er sank langsam auf die Knie und fiel dann so vornüber zu Boden, dass sich die lange Klinge komplett durch seinen Hals bohrte.
Lucy berührte ihr Gesicht, ihre Augen waren vor Schock weit aufgerissen. Als sie erkannte, dass es sich bei den Tropfen auf ihrer Haut um frisches Blut handelte, begann sie in Panik zu kreischen. Sie war so laut, dass die Nachbarin im Nebenhaus sie hörte und die Polizei benachrichtigte.
Als die Nacht hereinbrach, war Lucy Karnoffs Welt ein Scherbenhaufen. Man hatte sie ins Krankenhaus gebracht und ruhig gestellt, während die Behörden fieberhaft versuchten, ihren Mann ausfindig zu machen.
In Santa Fe sonnte sich Emile unterdessen im Glanz eines weiteren Erfolgs. Ehrengast bei der New Mexico State Medical Convention zu sein, war wie die Erfüllung eines Traums. Sein Terminkalender bot kaum noch Platz, und die heimischen Probleme hatte er längst verdrängt. Er stellte das Wohl vieler über das Wohl weniger, und es gab so viele Menschen, denen er seine Techniken vermitteln musste, damit sie auch weiterhin angewendet würden. Sie waren sein Vermächtnis an die Welt.
16. KAPITEL
G inny stand am Rand des Sprungbretts und wartete darauf, dass Sully nicht dort schwamm, wo sie ins Wasser eintauchen würde. Er stoppte für ihren Geschmack viel zu früh, als er sich umdrehte und ihr bedeutete, sie solle zu ihm kommen.
„Du bist noch zu nah!“ rief sie ihm zu.
„Nein, bin ich nicht.“
Webster Chee stand gegen die Hauswand gelehnt da. Waffe und Halfter bildeten einen krassen Kontrast zu seinem weißen kurzärmeligen
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