Das fahle Pferd
dann zuckte er die Achseln und erklärte: »Nun, ich bin kein Psychiater. Unter uns gesagt, halte ich alle diese Kerle für etwas verdreht. Sie sind nur versessen auf Theorien – und übertreiben alles. Ich kann Ihnen im Vertrauen bestätigen, dass die Polizei diese psychologischen Gutachten gar nicht besonders schätzt, die der Verteidiger in Auftrag gibt, um aus einem Verbrecher ein armes fehlgeleitetes Unschuldslämmchen zu machen.«
»Demnach glauben Sie also überhaupt nicht daran?«
»Doch, selbstverständlich! – Nur wird auch hier übertrieben, wie überall bei neuen Erkenntnissen. Viel Schaumschlägerei und Wichtigtuerei. Diese ›unbewusste Todessehnsucht‹ existiert wirklich, aber längst nicht in dem Maße, wie man uns weismachen will.«
»Thyrza Grey behauptet, alles darüber zu wissen.«
»Thyrza Grey!«, knurrte Corrigan wütend. »Was weiß schon so eine halbgebildete alte Schachtel von Tiefenpsychologie!«
»Sie will alles gelesen haben, was jemals darüber geschrieben wurde.«
»Und Sie schlucken das treu und brav mitsamt Angel und Haken?«
»Keineswegs«, gab ich zurück. »Ich wollte nur wissen, ob tatsächlich eine wissenschaftliche Grundlage dafür besteht.«
»Gibt es.«
»Schön. Und jetzt könnten Sie mir erzählen, wie Sie mit Ihrer Liste vorwärts kommen«, meinte ich friedfertig.
»Die Burschen von der Polizei gehen jedem einzelnen Namen nach, aber es ist eine mühsame Arbeit. Nur ein Nachname, ohne Vorname und ohne Adresse… da lässt sich schwer etwas feststellen.«
»Packen wir die Sache also von einer anderen Seite an. Ich möchte wetten, dass jeder dieser Namen in den letzten anderthalb Jahren auf Ihren Todeslisten steht. Stimmt’s?«
Er schaute mich fragend an. »Stimmt – aber was will das schon heißen?«
»Das ist schon mal ein gemeinsamer Nenner: Tod.«
»Messen Sie dem keine allzu große Wichtigkeit bei, Mark. Haben Sie denn eine Ahnung, wie viele Menschen jeden Tag auf unserer gelobten Insel sterben? Und einige dieser Namen sind so häufig, dass uns das nicht weiterhilft.«
»Delafontaine«, bemerkte ich. »Mary Delafontaine – dieser Name dürfte ziemlich selten sein. Und soviel ich weiß, war am Dienstag die Beerdigung.«
Wieder blickte er mich von der Seite an. »Woher wissen Sie denn das schon wieder? Haben Sie es in der Zeitung gelesen?«
»Nein, eine Freundin der Dame hat es mir erzählt.«
»Dieser Tod war ganz natürlich, das versichere ich Ihnen. Und genauso verhält es sich mit den anderen Namen, die auf dieser Liste stehen und denen die Polizei nachgegangen ist. Hätte es sich um ›Unfälle‹ gehandelt, könnte das vielleicht Verdacht erregen. Aber nein, sämtliche Todesfälle waren ganz alltäglich: Lungenentzündung, Gehirnblutung, Tumor, Gallensteine, ein Fall von Kinderlähmung – absolut nichts Verdächtiges.«
Ich nickte. »Kein Unfall – kein Gift – nichts dergleichen. Ganz gewöhnliche Krankheiten, die schließlich zum Tode führten. Und das ist genau das, was Thyrza Grey behauptet.«
»Wollen Sie mir wirklich weismachen, diese Frau könne erreichen, dass jemand, der weiter entfernt von ihr wohnt und mit dem sie nicht den geringsten Kontakt hat, sich eine Lungenentzündung holt und daran stirbt?«
»Ich behaupte das nicht… aber Thyrza tut es. Mir kommt das Ganze fantastisch vor und ich möchte es gern für unmöglich halten. Aber es gibt da ein paar merkwürdige Faktoren, die mich stutzig machen. Da ist einmal die Erwähnung des ›Fahlen Pferdes‹ – und zwar im Zusammenhang mit der Beseitigung missliebiger Personen. Nun gibt es wirklich ein Haus mit diesem Namen, und die drei Bewohnerinnen prahlen direkt damit, dass ein solches Verfahren möglich ist. In der Nachbarschaft dieses gleichen Hauses lebt ein Mann, der mit aller Bestimmtheit als derjenige erkannt wurde, der Pater Gorman am Abend seines gewaltsamen Todes folgte – am selben Abend, da der Pater zu einer sterbenden Frau gerufen wurde, die ihm von ›großer Schlechtigkeit‹ sprach. Etwas zu viel der Zufälle, finden Sie nicht auch?«
»Dieser Mann konnte aber nicht Venables sein, da er Ihrer eigenen Aussage nach seit Jahren gelähmt ist.«
»Ist es, medizinisch betrachtet, unmöglich, eine solche Paralyse nur vorzutäuschen?«
»Ausgeschlossen! Kinderlähmung verursacht Muskelschwund.«
»Das scheint jedenfalls diese Frage zu klären.« Ich seufzte. »Schade! Wenn es eine Gesellschaft gäbe, die sich auf ›humane Beseitigung‹ spezialisiert hat, dann
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