Das fahle Pferd
könnte ich mir Venables ganz gut als den leitenden Kopf vorstellen. Allein die Dinge, die er in seinem Haus hat, stellen ein Riesenvermögen dar. Woher kommt all das Geld?«
Ich wartete einen Moment, ehe ich fortfuhr: »Und all die Leute, die da so hübsch ordentlich in ihren Betten starben… besaßen sie jemanden, der sie beerbt hat? Oder der aus ihrem Tod Nutzen gezogen hat?«
»In gewissem Sinne profitiert immer jemand vom Tod eines andern. Aber auch hier gab es keine besonders verdächtigen Umstände, wenn es das ist, was Sie wissen möchten.«
»Mehr oder weniger.«
»Lady Hesketh-Dubois zum Beispiel hinterließ, wie Sie wohl selbst wissen, rund fünfzigtausend Pfund. Eine Nichte und ein Neffe waren die Erben. Der Neffe lebt in Kanada, die Nichte ist im Norden unseres Landes verheiratet. Beide konnten das Geld gut brauchen. Thomasina Tuckerton besaß von ihrem Vater her ein sehr großes Vermögen. Da sie unverheiratet war und starb, bevor sie einundzwanzig wurde, fiel das Geld wieder an ihre Stiefmutter zurück. Und diese Dame scheint einen absolut untadeligen Charakter zu haben. Dann ist da natürlich noch diese Mary Delafontaine – sie hinterließ ihr ganzes Vermögen einer Kusine…«
»Und diese Kusine…?«
»Lebt mit ihrem Mann in Kenia.«
»Also alle in sicherer Entfernung«, bemerkte ich.
Corrigan warf mir einen ärgerlichen Blick zu.
»Von den drei Stanfords, die in letzter Zeit ins Gras beißen mussten, hatte der erste eine sehr viel jüngere Frau, die sich merkwürdig rasch wieder verheiratete. Der Verstorbene war Katholik und wollte nichts von einer Scheidung wissen. Ein Bursche namens Sidney Harmondsworth, der an Gehirnblutung starb, soll sehr diskrete, aber einträgliche Erpressungen begangen haben. Sicher gibt es mehrere Leute, die über seinen Tod nicht gerade unglücklich waren.«
»Mit alledem bestätigen Sie mir nur, dass der Tod all dieser Leute irgendwo sehr willkommen war. Wie steht es nun mit Corrigan?«
Der Arzt grinste.
»Corrigan ist ein Allerweltsname. Eine ganze Reihe von Corrigans ist gestorben – aber soviel wir wissen, hat niemand dadurch einen besonderen Vorteil gehabt.«
»Das klärt die Lage. Sie selbst sind das nächste auserkorene Opfer. Passen Sie gut auf sich auf!«
»Werde ich bestimmt! Und glauben Sie nur ja nicht, Ihre Hexe von Endor könne mich mit einem Duodenalgeschwür oder der spanischen Grippe um die Ecke bringen… nicht einen abgehärteten Arzt wie mich!«
»Hören Sie zu, Jim. Ich möchte dieser Sache nachgehen. Wollen Sie mir dabei helfen?«
»Auf keinen Fall! Ich verstehe nicht, wie ein gescheiter Mensch wie Sie auf einen solchen Unsinn hereinfallen kann.«
Ich seufzte. »Wissen Sie denn wirklich kein anderes Wort? Von diesem habe ich langsam genug.«
»Quatsch, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Kann nicht behaupten, dass mir das besser gefiele.«
»Sie sind ein unverbesserlicher Dickkopf, Mark, geben Sie es zu.«
»So wie ich die Sache ansehe«, erklärte ich, »muss jemand ein Dickkopf sein.«
20
G lendower Close war ganz neu erbaut. Die Straße bog sich halbkreisförmig, die Arbeiter waren noch am Werk. Ungefähr auf halbem Weg stand an einem Gartentor der Name »Everest«.
Über ein Beet gebückt und mit dem Pflanzen von Blumenzwiebeln beschäftigt, zeigte sich ein runder Rücken, den Inspektor Lejeune ohne Schwierigkeiten als den von Mr Zacharias Osborne erkannte. Der Inspektor öffnete das Tor und trat ein. Mr Osborne hob den Kopf, um zu sehen, wer in sein Reich eingedrungen war, und sobald er seinen Besucher erkannte, überflog ein Rot der Freude sein ohnehin schon gerötetes Gesicht. Mr Osborne sah auf dem Lande nicht anders aus als in seiner Apotheke in der Stadt. Er trug zwar schwere Schuhe und war in Hemdsärmeln, aber selbst das vermochte der Korrektheit seiner Erscheinung keinen Abbruch zu tun. Feine Schweißtropfen hatten sich auf seinem kahlen Hinterkopf gebildet; er wischte sie sorgfältig mit einem Taschentuch ab, ehe er seinem Gast entgegenging.
»Inspektor Lejeune!«, rief er erfreut aus. »Das ist eine große Ehre für mich, wirklich. Ich habe Ihren Brief bekommen, in dem Sie mir den Erhalt des meinigen bestätigten, aber ich hätte nie zu hoffen gewagt, Sie persönlich bei mir begrüßen zu dürfen. Seien Sie willkommen in meinem Tuskulum… willkommen in Everest. Der Name überrascht Sie? Ich habe mich immer sehr für den Himalaja interessiert und jede Phase der Everest-Expedition genau verfolgt. Welcher
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