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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gar nicht sicher sein. Und dennoch…«
    Lejeune lehnte sich vor. »Sie haben sich vielleicht gefragt, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin. Nachdem ich das medizinische Gutachten in der Hand habe, wonach Mr Venables nicht der gesuchte Mann sein kann, bestünde dazu eigentlich kein Grund mehr, nicht wahr?«
    »Eben, eben! – Nun, Inspektor, weshalb sind Sie also trotzdem hier?«
    »Ich will es Ihnen gestehen, Mr Osborne. Die Sicherheit, mit der Sie Ihre Aussage machten, verblüffte mich. Ich wollte wissen, worauf diese Sicherheit basiert. Sie werden sich erinnern, dass es damals ein sehr nebliger Abend war. Ich bin zu Ihrem früheren Geschäft gegangen, ich habe mich selbst auf die Schwelle gestellt und zur anderen Straßenseite hinübergeblickt. Und mir schien es fast unmöglich, dass Sie von dieser Stelle aus ein Gesicht so deutlich sehen konnten. Bei solchem Nebel sollten doch höchstens die Umrisse einer Gestalt sichtbar werden.«
    »Bis zu einem gewissen Punkt haben Sie Recht, Inspektor. Es war an jenem Abend wirklich neblig. Aber – der Nebel kam in richtigen Schwaden und zwischendurch gab es immer wieder lichte Phasen. So war es auch in dem Moment, da ich Pater Gorman erkannte… und auch den Mann, der ihm auf dem Fuße folgte. Ferner wollte es der Zufall, dass dieser Mann gerade gegenüber meiner Tür sein Feuerzeug anknipste, um seine Zigarette wieder anzuzünden. Dies war der Augenblick, da ich ihn ganz deutlich sah – seine Nase, sein Kinn und den starken Adamsapfel. Dies Gesicht vergisst man nicht so rasch, dachte ich bei mir. Ich hatte ihn vorher noch nie in der Gegend gesehen und auch nicht in meinem Geschäft. Und deshalb…« Mr Osborne brach ab.
    »Ja, ich verstehe«, erklärte Lejeune und nickte nachdenklich.
    »Vielleicht handelt es sich um einen Bruder dieses Mr Venables – einen Zwillingsbruder sogar?«, schlug der Apotheker hoffnungsvoll vor. »Das wäre doch eine Lösung, nicht wahr?«
    »Zwei Brüder, die sich gleichen wie ein Ei dem andern?« Der Inspektor lächelte. »In Büchern macht sich so etwas ganz gut… aber in der Wirklichkeit kommt es wohl eher selten vor.«
    »Es braucht ja nicht gerade ein Zwilling zu sein – einfach ein Bruder und eine allgemeine Familienähnlichkeit…« Mr Osborne schien sehnsüchtig auf eine Zustimmung zu warten.
    »Soweit wir feststellen konnten…«, Lejeune wählte seine Worte sehr vorsichtig, »besitzt Mr Venables überhaupt keinen Bruder.«
    »Soweit Sie feststellen konnten?« Mr Osborne hatte die Formulierung sofort erfasst.
    »Der Mann ist zwar Engländer, aber im Ausland geboren. Seine Eltern brachten ihn erst hierher, als er elf Jahre war.«
    »Demnach wissen Sie nicht viel über ihn und seine Familie?«
    »Nein«, gab der Inspektor nachdenklich zu. »Wir konnten tatsächlich nur wenig ausfindig machen über Mr Venables. Dazu müssten wir schon hingehen und ihn selbst fragen – doch wir haben keinen Grund dafür.«
    Er sprach sehr bestimmt. Es gab natürlich für die Polizei auch noch andere Mittel und Wege, aber er hatte nicht die Absicht, dies Mr Osborne anzuvertrauen.
    Der Inspektor erhob sich. »Wenn also das medizinische Gutachten nicht wäre, würden Sie immer noch auf Ihrer Ansicht beharren?«
    »Ganz gewiss!« Mr Osborne erhob sich ebenfalls. »Es ist sozusagen eine Manie von mir, mich an alle Gesichter zu erinnern, die ich einmal gesehen habe.« Er kicherte. »Viele meiner Kunden habe ich damit überrascht. ›Wie geht’s denn Ihrem Asthma?‹, erkundigte ich mich zum Beispiel bei einer Dame, die mich daraufhin sehr verblüfft ansah. ›O ja, Sie sind doch im vergangenen März hier gewesen, mit einem Rezept von Dr. Hargreaves.‹ Na, ich sage Ihnen: Sie konnte es gar nicht fassen. Aber dies Gedächtnis hat mir viel geholfen im Geschäft. Es freut die Kunden immer, wenn man sie wiedererkennt. Allerdings wusste ich mit Namen nicht so gut Bescheid wie mit Gesichtern. Ich habe diese Gabe seit meiner Jugend gepflegt, Mr Lejeune, und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, macht man es fast automatisch – man braucht sich gar nicht mehr anzustrengen.«
    Lejeune seufzte. »Ich gäbe etwas darum, Zeugen wie Sie vor Gericht zu haben. Identifizierung ist immer eine verflixte Sache; die meisten Leute können sich nie mit Bestimmtheit an etwas erinnern. Sie kommen uns mit ganz vagen Angaben wie zum Beispiel: ›Oh, ich glaube, ziemlich groß. Blondes Haar… nun, nicht direkt blond, eher ins Bräunliche spielend. Blaue Augen… oder vielleicht

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