Das Falsche in mir
dumm. Die denken nicht, die sind wie fremdgesteuert von irgendwelchen idiotischen Instinkten, die handeln einfach, wie es ihnen in den Sinn kommt, und dann machen sie Riesenaugen, wenn es um die Konsequenzen geht. Huch, meine Freundin ist tot, da liegt sie ja und rührt sich nicht mehr, und da kein anderer da ist, muss das wohl ich gewesen sein, ja wie ging das denn? Im Endeffekt ist übrigens immer die Freundin schuld. Oder die Mutter oder der Idiot, der einen vor der Kneipe schwach angeredet hat oder einfach nur geguckt hat wie ein arrogantes Arschloch. Aber Sie, Sie haben nie Marion die Schuld gegeben, nie. Sie waren der Täter, Sie haben dazu gestanden, Punkt. Das hat mir imponiert. Ja, imponiert. Und dazu stehe ich.
…
Und deshalb frage ich Sie jetzt noch einmal – das, was damals keinen interessiert hat: Sie hatten sich von ihr getrennt, Sie haben sogar die Schule gewechselt, und dann sind Sie Monate später, fast ein Jahr später, wieder zusammengekommen. Wieso?
…
Beantworten Sie mir nur diese eine Frage, dann lasse ich Sie in Ruhe: Wieso? Was war der Anlass? Haben Sie es nicht ausgehalten ohne Marion, oder hat sie es nicht ausgehalten ohne Sie? Und wenn ja, warum? Ich verstehe das nicht, sehen Sie. Sie hatten sich doch schon erfolgreich voneinander gelöst. Warum wurden Sie wieder ein Paar?
…
Sie haben dazu damals keine Aussage gemacht. Möchten Sie das nachholen?
…
Unterbrechung der Vernehmung Lukas Salfelds um 7 Uhr 2 Minuten. Anwesend: Kommissar Benedikt Gronberg.
2
Die Akte Lukas Kalden, heute Salfeld. Hunderte von Seiten. Fünfunddreißig Jahre alte, vergilbte Vernehmungsprotokolle. Dann die Gerichtsprotokolle. Und das Bewusstsein, dass es vielleicht vollkommen sinnlos ist, diese Massen an Papier noch einmal zu sichten. Auf der Suche nach der einen Information, die vielleicht zu einer anderen Information führt – idealerweise zu einem Netzwerk an Informationen, das in seiner Gesamtheit die Wahrheit ergibt.
Ergeben könnte.
Es ist zwei Uhr morgens. Lukas Kalden/Salfeld schläft in seiner Zelle. Oder liegt wach und starrt an die Decke. Letzteres ist wahrscheinlicher: dass er so wach ist wie Sina, die blättert und sichtet und sich Notizen macht und sich die Haare rauft, obwohl ihr eigener Chef sagt, dass der Fall geklärt sei. Ein Mörder, der die Mordwaffe noch in der Hand hat. Besser geht es doch gar nicht. Auf frischer Tat und so weiter.
Nun braucht es nur noch einen scharfen Hund als Staatsanwalt und einen Richter, der die wenigen entlastenden Momente nicht gelten lässt, und Salfeld verschwindet für immer.
Die wenigen entlastenden Momente, neben der Tatsache, dass Lukas Salfeld die Morde an Anne Martenstein und Karen Beck nicht gestanden hat und dass er bei Sina angerufen hat, damit die Polizei ihn via Mobiltelefon orten konnte? Es gibt nur noch einen: Silvia Johansson wurde mit Flunitrazepam betäubt, das unter dem Namen Rohypnol in Junkiekreisen gehandelt wird. Sina hat sich von Leo Vanderfart die Wirkung noch einmal erklären lassen. Und danach hatten sie Sex, aberdiesmal nicht in der Pathologie, sondern in Sinas Bett, denn Vanderfart hatte ihr einen dienstlichen Besuch abgestattet.
Flunitrazepam hat laut Vanderfart eine Halbwertzeit von achtzehn bis zwanzig Stunden. Nach dieser Zeit ist also immer noch die Hälfte des Wirkstoffs im Blut nachweisbar.
Dann müsste es doch in den Körpern von Anne Martenstein und Karen Beck ebenfalls gefunden worden sein? , hat Sina Vanderfart gefragt.
Und Vanderfart antwortete: Ja, es war aber nicht so. Es gab Reste von Alkohol im Körper. Aber kein Flunitrazepam im Blut.
Warum nicht?
Vanderfart zuckte die Achseln. Flunitrazepam ist ein extrem wirksames Beruhigungsmittel, zehnmal wirksamer als andere Benzodiazepine wie zum Beispiel Diazepam. Vielleicht wollte der Täter …
… dass die Mädchen alles mitbekommen?
Vanderfart nahm eine Strähne von ihrem Haar, sein Blick brachte sie ein bisschen durcheinander, aber sie nahm sich zusammen.
Ja, vielleicht war es das, sagte er. Vielleicht gab ihm das einen Extrakick.
Aber, bohrte sie nach, warum dann bei Silvia Johansson? Im Krankenhaus haben sie gesagt, dass sie so stark sediert war, dass sie von der ganzen Quälerei nicht wirklich viel mitbekommen konnte.
Schon weil ihre Verletzungen eher oberflächlich sind.
Und das ist ein weiterer entlastender Moment. Viele Schnitte, viel Blut, aber harmlose Verletzungen.
Wie viele Schnitte hast du gezählt, Leo?
Fünfzehn.
Und bei den anderen
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