Das Falsche in mir
Sie eine Zigarette?
Ja.
Etwas zu essen?
Nein.
Unterbrechung der Vernehmung Lukas Salfelds um 3 Uhr 38 Minuten. Anwesend: Hauptkommissarin Sina Rastegar.
Vernehmung Lukas Salfeld, 4 Uhr 16. Anwesend: Hauptkommissar Benedikt Gronberg.
Sind Sie müde, Herr Salfeld?
Spielt das eine Rolle?
Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sehr erschöpft sind. Würden Sie gern schlafen? Sich ausruhen?
Ich kann nicht schlafen. Abgesehen davon ist es mir egal. Es gibt Schlimmeres als Müdigkeit.
Beginnen wir noch einmal mit dem letzten Fall. Sie bestreiten nicht, Silvia Johansson Verletzungen zugefügt zu haben?
Nein.
So wie Anne Martenstein und Karen Beck.
Nein. Anne Martenstein und Karen Beck habe ich überhaupt nicht gekannt.
Ihnen ist klar, dass das angesichts der Lage unglaubwürdig klingt.
Ich kannte keines der beiden Mädchen.
Aber Silvia Johansson kannten Sie.
Ja, vom Sehen.
Weil Sie sie verfolgt haben. Nicht nur einmal, mehrmals. Silvia Johansson hat zwei Freundinnen davon erzählt. Ihre Aussagen liegen uns vor.
Ja. Ich habe sie verfolgt.
Warum?
Das habe ich Ihnen gesagt. Sie hat mich gereizt.
So wie Marion Wellershoff.
Hören Sie auf.
Das können wir nicht, denn damals hat alles angefangen. Wissen Sie noch? Ich habe Sie abgeholt, damals. Aus Ihrem Klassenzimmer. Ich war blutjung damals. Aber nicht so jung wie Sie.
Ich spreche nicht über Marion. Ich habe damals meine Strafe abgesessen.
Wir müssen über Marion sprechen, denn damals hat alles angefangen.
Ich spreche nicht über Marion.
Dann bleiben wir bei Silvia Johansson. In Ordnung?
Ich habe Ihnen alles gesagt.
Fangen wir noch mal von vorne an.
Nein. Ich werde gar nichts mehr sagen.
Ihnen wurde mitgeteilt, dass Sie einen Anwalt …
Darum geht es nicht. Ich brauche keinen Anwalt.
Dann müssen Sie reden.
Sie können mich nicht zwingen.
Sie sehen müde aus.
Sie sollten nicht von sich auf andere schließen.
In Ordnung, Herr Salfeld. Sie wollen nicht reden, dann werde ich reden. Von einem jungen Mädchen, das Sie damals geliebt haben. Niemand hat Ihnen das geglaubt, aber ich schon. Sie haben damals ausgesagt, dass Sie Marion geliebt haben, und weil Sie sie geliebt haben, haben Sie sich von ihr getrennt. In dem Bewusstsein, dass Ihre Veranlagung eine Gefahr für sie ist. Ich war damals bei der Vernehmung dabei, erinnern Sie sich?
…
Ich durfte nur zuschauen, ich war ja noch ein Frischling. Aber ich habe Ihr Gesicht gesehen, als Sie von ihr gesprochen haben. Das war Liebe. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich damals geschworen, Sie hätten Sie aus Liebe getötet. Klingt das absurd?
…
Ich habe seitdem immer wieder über all das nachgedacht. Dieser Fall hat mich geprägt, das können Sie mir glauben. Meine Arbeit – ich hätte meine Arbeit anders gemacht, wenn es Sie nicht gegeben hätte. Sie waren ein absolutes Rätsel für mich. Sie waren einzigartig. Wissen Sie, warum?
…
Weil man eine Menge über Liebe lernen kann, wenn man Ihren Fall kennt. Liebe ist ja nicht – na ja, Sie wissen schon – so ein nettes Rüschengefühl, so rosa und hellblau. Liebe hat eine dunkle Seite, eine pechschwarze, um genau zu sein. Und deswegen ist sie nicht weniger wertvoll. Es gibt ja überhaupt nichts auf der Welt, kein Ding, kein Gefühl, das nicht seine zwei Seiten hat. Nichts ist nur gut oder schlecht, habe ich nicht recht?
…
Ich versuche mir gerade Ihr Leben vorzustellen. Diese Einsamkeit. Manchmal verstehe ich Sie so gut. Ich kenne das ja auch. Man sieht schreckliche Dinge und kann mit niemandem darüber sprechen, absolut mit niemandem, weil man sonst sehr schnell keine Frau und keine Freunde mehr hätte. Aber die Frau und die Freunde, die hat man ja nur, weil man sich dauernd so gibt, wie man gar nicht ist. Ich bin zum Beispiel der lustige Vogel. Das glaubt mir hier kein Mensch, aber privat bin ich der lustige Vogel. Deswegen werden wir viel eingeladen, meine Frau und ich. Und jetzt muss ich immer so weitermachen, verstehen Sie? Hat man einmal damit angefangen, muss man das durchhalten, sonst gibt’s Irritationen, die Frau fragt, was mit einem los ist und ob man nicht mal zu einem Psychoklempner gehen will, weil man vielleicht einen Burnout hat. Einen Burnout. Scheiße. Entschuldigung, wollten Sie etwas sagen?
…
Sie haben damals sogar die Schule gewechselt, um von Marion loszukommen. Das hat mich beeindruckt, auch wenn es jedem egal war. Sie wollten ein guter Mensch sein. Die meistenKandidaten hier, die sind einfach nur
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