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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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ich doch Besuch. Von einem Vollzugsbeamten wird mir Hauptkommissarin Rastegar angekündigt. Wider Erwarten fühle ich eine Art urmenschliche Erleichterung darüber, dass ich nicht vollkommen vergessen bin. Ich schäme mich fast dieser Regung, während mich der Beamte zum Besuchsraum führt.
    Als ich Rastegar sehe, fällt mir zum ersten Mal auf, dass sie attraktiv ist. Ich setze mich ihr gegenüber. Vor ihr liegen ein kleines, digitales Aufnahmegerät und eine grüne Mappe, die alt und fleckig aussieht.
    Sie begrüßt mich nicht, sondern sagt, auf die Mappe deutend: »Wissen Sie, was das ist?«
    »Nein.« Ich bemerke, dass sie blass ist und abgenommen hat.
    Sie schlägt die Mappe auf, ich sehe die Schreibmaschinenschrift und ganz langsam, mühsam, unaufhaltsam bahnt sich eine Erinnerung in mein Bewusstsein.
    Dr. med. Luzia Savatzki.
    »Das Gutachten«, sage ich.
    »Ihr Anwalt sagt, Sie haben es nie gelesen.«
    »Nein, warum auch? Es wurde ja vor Gericht nicht einmal zugelassen.«
    »Er sagt, er wollte Ihnen den Inhalt erzählen, Sie wollten es nicht hören.«
    »Es ergab keinen Sinn für mich. Ich wollte mich nicht damit beschäftigen. Ich hatte versagt.«
    »Sie wollten vergessen?«
    »Was meinen Sie damit?«
    Ich betrachte das Gesicht Rastegars. Ich entdecke violette Schatten unter ihren Augen und einen kaum wahrnehmbaren schwärzlichen Fleck unter ihrer linken Braue, vielleicht ein Rest Wimperntusche. Sie schiebt sich eine dicke Haarsträhne hinter das Ohr.
    Marion machte das täglich an die hundert Mal.
    »Sie wollten etwas nicht noch einmal durchleben.«
    »So?«, sage ich. Ich denke kurz an Dr. Savatzki, überlege, ob sie noch lebt. Der einzige Mensch, von dem ich mich jemals verstanden fühlte.
    »Und Sie wollten nicht wissen, was in Marions Tagebuch stand.«
    »Woher wissen Sie von dem Tagebuch? Hat Ihnen Dr. Savatzki davon erzählt?«
    »Das steht in dem Gutachten. Sie hat aus dem Tagebuch zitiert. Aber ich habe nicht mit ihr gesprochen, Dr. Savatzki ist vor drei Jahren gestorben.«
    Ich spüre, wie sich etwas in mir löst, etwas Gefährliches, eine tektonische Verschiebung.
    »Sie ist tot?«
    »Ja.«
    Ich stehe vor einer Schlucht, der Boden scheint zu wanken.
    »Geht es Ihnen gut?«
    Mir ist schwindelig, in meinen Ohren rauscht es.
    »Ja«, sage ich.
    »Wissen Sie, was mir beim Lesen als Erstes aufgefallen ist?«
    Ich höre sie kaum, in mir tobt ein Sturm.
    »Nein, was?«
    »René R. Kalden.«
    »Mein Vater. Na und?«
    »Das Mittelinitial. Sehr amerikanisch, hierzulande eigentlich nicht üblich. Deshalb fiel es mir auf, wie gesagt. Sonsthätte ich gar nicht darauf geachtet. Und dabei gab es noch etwas anderes.«
    »Wirklich?« Vor meinen Augen bilden sich Schleier, mein Mund wird trocken, ich habe Angst, mich übergeben zu müssen.
    »Denken Sie nach.«
    »Keine Ahnung«, ächze ich. Rastegar bleibt ungerührt. Vielleicht fällt ihr gar nicht auf, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe.
    »René R. Kalden«, sagt sie mit ihrer kühlen, sinnlichen, rauen Stimme, »ist ein Anagramm von Leander Kern. Ein merkwürdiger Zufall, oder?«
    Der Schwindel hört auf, meine Augen werden wieder klar, das Unwetter ist vorüber, alles in mir ist kalt.
    »Leander Kern sind Sie.«
    »Nein!«
    »Und auch wieder nicht. Ich habe inzwischen mit Ihrer Tochter Teresa gesprochen. Sie hatte einen Freund, er nannte sich Len.«
    »Er ist nicht wieder aufgetaucht.«
    »So, wie Sie es prophezeit haben.« Sie beugt sich nach vorne, die Haare fallen ihr ins Gesicht, sie streicht sie ungeduldig aus dem Gesicht, dann lehnt sie sich zurück und verschränkt die Arme, und ich kann sehen, wie ihre Fingerknöchel weiß werden vor Anspannung.
    »Sie haben schon ewig einen Internetanschluss desselben Providers.«
    »Wie bitte?«
    »Das hat unser Computerexperte herausgefunden. Ich habe ihn extra darauf angesetzt.«
    »Warum das denn?«
    »Ihr Router verwendet nach wie vor die früher übliche WLAN-Verschlüsselung WEP. Sie haben vor Jahren ein Schreiben von Ihrem Provider bekommen, mit dem Angebot, denRouter upzudaten und auf die sicherere WPA-Verschlüsselung umzusteigen, aber wie so viele konnten Sie wahrscheinlich mit dem Schreiben nichs anfangen. Sie haben nicht reagiert. Also ist alles beim Alten geblieben.«
    Ich habe keine Ahnung, was das soll, aber ich nicke. Es wird schon so gewesen sein.
    »WEP ist kompromittiert. Das heißt, es kann mit etwas Know-how im Handumdrehen geknackt werden.«
    Langsam begreife ich, worauf sie hinauswill.

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