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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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sie wissen wird, dass sie jetzt nur noch ein paar Minuten unterwegs sein werden. Ein paar Minuten Galgenfrist, in denen sie ihr sauberes Kleid, ihre gewaschenen und gekämmten Haare spüren kann, bevor alles wieder zerstört wird.
    Damals, in einer anderen Zeit, gab es immer etwas, worauf sie sich freuen konnte – und sei es auf das Ende einer langweiligen Schulstunde. Heute gibt es nichts mehr, worauf sie sich freuen kann. Nichts wird sich ändern. Irgendwann wird sie tot sein und dann von allen vergessen werden. Sie selbst hat sich schon vergessen, und das geschieht ihr recht.
    Wer sich so dumm und gutgläubig verhält wie sie, verdient es nicht anders.
    Sie halten an.

12
    Ich sitze in der Küche von Vassilis. Er wohnt über seinem Lokal in einer Zweizimmerwohnung, der man anmerkt, dass schon lange keine Frau mehr zu Besuch war.
    Vassilis hat mir nachts um drei die Tür geöffnet, er hat mich umarmt und nichts gefragt. Ich durfte ein heißes Bad nehmen und mich rasieren und auf einem Sofa schlafen, das mindestens so alt ist wie ich.
    Zwei Tage war ich mehr tot als lebendig. Die Grippe hatte mich fest im Griff, zeitweise hatte ich über vierzig Grad Fieber. Trotzdem war ich beinahe glücklich. Niemand würde mich hier vermuten, eine Verbindung herzustellen war nach menschlichem Ermessen unmöglich, kein Platz konnte sicherer sein als dieser hier. Vassilis musste tagsüber in seinem Imbiss arbeiten, kam aber fast jede Stunde hoch und sah nach mir, seinem Freund und Patienten.
    Solange ich krank war, fragte er nichts. Jetzt, wo es mir besser geht, spüre ich aber seine Neugier. Als wir zum ersten Mal gemeinsam in seiner winzigen Küche frühstücken – das Fieber ist fast weg, nur der hartnäckige Husten quält mich noch –, erkundigt er sich in scheinbar nebensächlichem Tonfall nach meinen »Plänen«.
    Diese Vokabel klingt aus seinem Mund seltsam. Irgendwie falsch. So spricht er normalerweise nicht. Ich bin sofort misstrauisch.
    Andererseits hätte er genug Zeit gehabt, mich der Polizei auszuliefern, wenn er das gewollt hätte. Trotzdem: Etwas stimmt nicht. Ich sehe es in seinem Gesicht, an seinen Gesten.
    Vassilis hat mich in der Hand, erkenne ich. Wenn er mich anzeigt, bin ich verloren. Wo sollte ich mich verstecken? Mein gesundheitlicher Zustand hat sich zwar deutlich gebessert, aber ich bin noch lange nicht komplett wiederhergestellt. Es schneit seit Tagen ununterbrochen. Müsste ich jetzt wieder aufbrechen, würde mich das umbringen. Eine Alternative gibt es nicht. Und ins Gefängnis gehe ich kein zweites Mal. Auf gar keinen Fall. Ich weiß, was sie mit einem wie mir machen, egal ob schuldig oder nicht. Damals war ich jung, stark und wild genug, um mich wehren zu können. Heute bin ich viel zu verweichlicht, um mich in der archaischen Hierarchie zu behaupten.
    Heute würden sie mich wahrscheinlich auch nicht mehr vergewaltigen. Sie würden mich gleich töten.
    »Willst du noch einen Kaffee?«, fragt Vassilis in meine Gedanken hinein. Er strahlt mich an und meine Unruhe schwindet beinahe.
    »Danke«, sage ich und halte ihm meine Tasse hin, ein hässliches Ding, geschmückt mit dem Werbeaufdruck einer Küchenfirma. Der aufgebrühte Kaffee ist gewöhnungsbedürftig, aber mit viel Zucker kann ich ihn trinken. Ich esse ein wenig Weißbrot mit Butter und Marmelade, nicht weil ich Appetit habe, sondern weil ich zu Kräften kommen muss. Ich habe mindestens drei Kilo abgenommen, meine Hosen schlackern und meine Schultern fühlen sich knochig an.
    »Ich weiß, wer du bist«, sagt Vassilis. Sein Blick ist härter als noch vor ein paar Sekunden. Ich lasse die Kaffeetasse sinken, lege das Brot auf den Teller. Es ist sehr still in der Küche. Vor dem Fenster fallen lautlose Schneeflocken, ganz klein und dicht.
    »Wie meinst du das?«, frage ich und versuche dabei zu lachen.
    Vassilis lacht nicht.
    Er steht auf und holt ein Farbfoto, das sich in einem verschnörkelten silbernen Rahmen befindet. Es wurde mit einemaltmodischen Weichzeichner aufgenommen und zeigt ein vielleicht zehnjähriges Mädchen mit schwarzen Haaren und hübschem, aber eher durchschnittlichem Kindergesicht. Der Hintergrund ist rauchblau, vermutlich ein Fotostudio.
    »Wer ist das?«, frage ich in die Stille hinein. Meine Stimme wirkt spröde. Vassilis antwortet nicht. Stattdessen sieht er mich auffordernd an, als wäre das eine dumme Frage, die ich mir ganz leicht selbst beantworten könnte.
    »Meine Schwester«, sagt er schließlich, als würde das

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