Das Falsche in mir
ungläubig angesehen und gesagt: Du bist das hübscheste Mädchen in der ganzen Klasse. Und dabei hat sie ganz ernst geschaut. Ich wollte ihr dann das Gleiche sagen, aber das hätte so blöd geklungen.
Ich sage es ihr morgen.
19. November 1976
Morgen Abend bin ich auf der Party von Steph, sie hat morgen Geburtstag und feiert rein.
Ich weiß nicht, was ich anziehen soll!
20. November 1976
Steph ist eher freakig. Ich gehe jetzt zu Sophie und frage sie, ob sie mir was leiht. Eine Jeans, ein enges T-Shirt, eines ihrer PLO-Tücher.
Sophie, die blöde Kuh, wollte mir nichts leihen, aber jetzt ist sie weg, hurra! Ich nehme ihr PLO-Tuch (das rote). Dazu ein graues T-Shirt und die enge Jeans mit Schlag. Sophie hat fast dieselbe Figur, die Jeans ist nicht ganz eng, aber es geht.
Im letzten Moment ziehe ich alles wieder aus. Dann ziehe ich die Jeans wieder an und dazu klaue ich Papa eines von seinen Streifenhemden. Dazu Turnschuhe. Dann mache ich Spray in meine Haare, damit sie nicht so glatt sind. Und schminke meine Augen mit Kajal.
Ich sehe ganz anders aus.
21. November 1976
Ich bin superspät nach Hause gekommen. Getanzt, geraucht, gekifft. Bin total durcheinander.
Morgen kann ich Lukas besuchen. Das ist toll.
Ole hat angerufen.
22. November 1976
Ole hat mich abgeholt, weil er nur zwei Straßen weiter wohnt. Wir sind zusammen in die Schule gegangen. Ole hat ganz kleine, dichte Locken, die nach allen Seiten abstehen und an den Spitzen blond sind. Er sieht wild aus, aber er ist total lustig. Wir haben die ganze Zeit gelacht. Dabei weiß ich, dass ich am Nachmittag Lukas besuchen muss.
Ich bin durcheinander.
…
11
Sina klingelt an Gronbergs Tür. Es ist sechs Uhr morgens, der Morgen, nachdem Meret ihr alles erzählt hat. Sina hat kein Auge zugemacht in der Nacht. Stattdessen ist sie ins menschenleere Präsidium gegangen und hat sich in den Computer eingeloggt. Im Archiv war natürlich niemand mehr, also kam sie nur an die digitalisierten Informationen heran.
Nichts. Keinerlei Hinweise. Aber Meret kann sich das nicht alles ausgedacht haben. Das ist völlig unmöglich. Sie kannte die Adresse von Sinas Onkel, und das kann kein Zufall sein.
In einer guten Stunde trifft sich die Sonderkommission, dann will Sina wenigstens ein paar Anhaltspunkte haben.
Jetzt steht sie also vor Gronbergs Haus und klingelt ein zweites und ein drittes Mal. Schließlich brummt eine verschlafene Männerstimme aus der Gegensprechanlage.
»Sina«, sagt Sina. »Mach auf, es ist wichtig.«
»Bist du verrückt?«, scheppert Gronbergs Stimme aus dem Lautsprecher.
»Lass mich bitte rein. Ich würde dich nicht stören, wenn es nicht …«
Ein Klacken weist darauf hin, dass Gronberg den Hörer aufgelegt hat. Sina wartet. Dann hört sie den Türsummer.
Gronbergs Frau schläft noch, also sitzen sie in der engen Küche und nicht im Esszimmer, trinken starken Espresso, eine Tasse nach der anderen. Gronberg raucht. Er sieht kaputt aus, der Schlafmangel in den letzten Wochen setzt ihm zu. Er sieht ungefähr so aus, wie Sina sich fühlt.
Aber jetzt weiß sie wenigstens, dass da noch mehr ist. Sie hat es gemerkt, als sie ihn mit Merets Mädchennamen konfrontiert hat.
Meret Johansson.
Er hat sie angesehen wie ein Gespenst. Dann hat er sie in der Küche sitzen lassen und ist duschen gegangen. Jetzt sitzt er vor ihr, sauber, das struppige graue Haar feucht gekämmt und so unmöglich angezogen wie immer – diesmal mit einer Karottenjeans, die bis zum Bauchnabel reicht, und einem grau-gelb karierten Holzfällerhemd, das er sich in den Bund gestopft hat.
Sina registriert die Tränensäcke unter seinen Augen, den Rasurbrand auf den Wangen und der Oberlippe, ein paar verbliebene graue Stoppeln unter dem Kinn.
Sie legt ihr kleines digitales Aufnahmegerät auf den Tisch und sieht Gronberg an. Er nickt, und sie stellt es an.
»Du hast damals den Fall Meret Johansson bearbeitet. Kannst du dich an Einzelheiten erinnern?«
Gronberg holt tief Luft. Sein Blick wandert in Richtung der blitzblank polierten Spüle. »Kommt drauf an.«
»Wie habt ihr sie gefunden?«
»Es gab … Da war ein anonymer Anruf. Wir konnten ihn nicht zurückverfolgen. Damals …«
»Ich weiß, was damals nicht ging, Ben. Wer hat den Anruf entgegengenommen?«
»Ich.«
»Du?«
»Mhm.«
»Wollte der Anrufer genau dich sprechen?«
»Nein, glaube ich nicht. Er wollte irgendjemanden von der Polizei.«
»Wie viel Uhr war das?«
»Ich hatte Nachtdienst. Es war gegen zehn,
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