Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
Vom Netzwerk:
Kugel mit winzigen roten und violetten Blumen darauf. Sina studiert die Blumen, die stilisierten blassgrünen Blättchen.
    »Als die Maskenmänner kamen, habe ich geschrien. Ganz unglaublich laut. Da sind sie abgehauen. Dann habe ich mich angezogen und bin zu Fuß nach Hause. Und das war das letzte Mal.«
    »Tapferes Mädchen.«
    »Nein. Sie haben sich stattdessen Meret geholt. Weil ich nichts gesagt habe.«
    »Du warst ein Kind, Sina!«
    »Na und? Ich hatte einen Kopf zum Denken! Ich war ein Kind, aber nicht …«
    »Du konntest das nicht abschätzen.«
    Und vielleicht stimmt das, vielleicht kann man einem Kind wirklich nicht zumuten, dass es sich freiwillig gegen die eigene Verwandtschaft stellt. Mit so einem skandalösen Vorwurf.
    Ihre Verwandtschaft. Sina denkt an ihre Mutter, die Hippiebraut der ersten Stunde. So nannte sie sich, wenn sie betrunken oder bedröhnt war: Ich, Carlotta Rastegar, war die Hippiebraut der ersten Stunde, und dann lachte sie meckernd und schüttelte ihre langen, dicken grauen Haare, die ihr ganzer Stolz waren und mit denen sie aussah wie eine alte, versoffene Indianerin.
    Onkel Martin macht Sachen mit mir.
    Machen Männer eben. Meckerndes Lachen.
    Er tut mir weh.
    Gewöhn dich dran.
    Ich will das nicht.
    Was man will und was man kriegt, sind zwei Paar Stiefel.
    »Vielleicht war auch meine Mutter beteiligt«, sagt Sina, und einen Moment lang ist es so, als würde das jemand anders sagen, jemand, der nichts mit ihr zu tun hat, den sie nicht einmal besonders gut kennt. »Sie hat sich totgesoffen wie Onkel Martin«, fügt sie hinzu, bevor Gronberg antworten kann.
    »Es gibt keine Hinweise auf die Beteiligung einer Frau«, sagt Gronberg nach längerem Schweigen.
    »Es gibt keine Hinweise auf irgendwen «, sagt Sina. »So ist es doch, oder? Deine Worte.«
    »So ungefähr.«
    »Aber wenn das so war, warum gab es dann eine Gegenüberstellung?«
    »Es gab keine …«
    »Es gab eine Gegenüberstellung. Meret hat es mir gesagt.«
    Und dann beobachtet Sina etwas Merkwürdiges. Es ist nämlich so, als würde sich etwas in Gronberg öffnen, eine verborgene Tür vielleicht. Sein Gesicht wird weicher, fast erstaunt, ein bisschen wie ein Kind, das ein Geheimnis entdeckt, und in dem Moment, in dem er etwas sagen will, läutet sein Telefon und dann Sinas.
    Sie zucken beide zusammen und sehen mit einer fast synchronenBewegung auf ihre Armbanduhren: Die morgendliche Konferenz der Sonderkommission hat schon angefangen.
    Gronbergs Gesicht verschließt sich, macht seinem üblichen mürrischen Ausdruck Platz. Der Moment ist vorbei.

12
    Zwanzig Männer und fünf Frauen sitzen um einen ovalen Tisch und betrachten die Leinwand an der Stirnseite des Raums. Die Fenster sind verdunkelt, das Kunstlicht wurde gedimmt. Schweigend betrachtet die Runde die mit einem Beamer an die Leinwand geworfenen Fotos der beiden Mädchenleichen. Zu Vergleichszwecken wurden die Bilder von Anne Martenstein und Karen Beck nebeneinanderplatziert.
    Die ersten beiden Bilder zeigen die jeweiligen Fundorte, die sich ähneln wie ein Ei dem anderen, obwohl es sich um unterschiedliche Gärten handelt.
    Vanderfart steht neben der Leinwand, in der rechten Hand einen Laserpointer, mit dem er seine Ausführungen verdeutlicht. Er beschreibt im Wesentlichen, was man sieht: Beide Mädchen liegen auf dem Rücken, die Arme nah am Körper, die Beine eng geschlossen. Ihre Gesichter sind dem Himmel zugewandt. Das bedeutet, dass sie in ähnlicher Pose arrangiert wurden. Ein Zufall scheint ausgeschlossen.
    Vanderfart erläutert die Todesumstände, beschreibt detailliert die Verletzungen der inneren Organe, die inneren Blutungen – Hämorrhagien nennt er sie –, die in der Summe schließlich zum Tode führten. Seine Stimme klingt warm und voll, macht den Inhalt erträglicher.
    »Es tut mir leid, das sagen zu müssen«, schließt er ab, »aber wir haben es mit einer Serie zu tun.«
    Sina wirft einen Blick auf den Polizeichef Simon Matthias, einen schlanken Graukopf mit schmalen Lippen, ein paar Jahre älter als Gronberg, aber immer noch im Dienst. Sie kenntihn nun schon so lange, dass sie glaubt, seine Gedanken lesen zu können.
    B ITTE DAS NICHT.
    Aber natürlich hat Vanderfart recht, der Ritualcharakter ist nicht zu übersehen.
    Neben Vanderfart steht ein Fallermittler, lang, dünn, Ende zwanzig, schlechte Haut, der extra von der übergeordneten Landesbehörde angefordert wurde und von dem weder Sina noch Gronberg viel halten, weil er bisher noch nichts von

Weitere Kostenlose Bücher