Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
Vom Netzwerk:
aufstellen und mir der Schweiß ausbricht, kalter Schweiß, nicht im Gesicht, sondern unter den Achseln und zwischen den Beinen.
    Kalter Schweiß, der sich anfühlt, als würde er gefrieren.
    »Sind Sie nicht der Mann, den die ganze Stadt sucht?«
    Ich atme. Es ist sehr wenig Luft da, so als hätte sie der Wind, der nun winzige Schneeflocken heranwirbelt, von mir weggesogen.
    »Was meinen Sie denn damit?«, frage ich.
    »Lukas Kalden, alias Salfeld.«
    »Sie müssen mich verwechseln.«
    »Wie war es, Marion zu töten?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich gehe jetzt.«
    »Stimmt es, dass deine Tochter Teresa heißt?«
    »Was?« Mir wird schlecht. Kälte kriecht von meinen Beinen bis zu meinen Achseln hoch, breitet sich in meinen Armen aus, nur mein Kopf wird heiß und die Atemluft immer knapper. Ich weiß, dass ich jetzt nicht aufstehen könnte, selbst wenn ich es wollte. Ich bin festgefroren an dieser Bank, während der Windmich jetzt frontal angreift, der Wind und der Schnee und meine Verzweiflung gehen eine schreckliche Allianz ein, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht.
    Es gibt keine Rettung mehr.
    »Wo ist sie?«, flüstere ich heiser.
    »Wenn Sie mir helfen, sehen Sie sie vielleicht wieder.«

15
    »Warten Sie«, sagt die Frau, nimmt gleichzeitig Sinas Handgelenk und zieht sie in die Diele. Danach schließt sie sorgfältig und leise die Wohnungstür.
    »Warten Sie«, wiederholt sie und läuft die Treppe hoch in den ersten Stock. Sina hört, wie sie eine Tür öffnet, es gibt Gemurmel, schließlich ruft die Frau von oben: »Sie können jetzt kommen.«
    Sina bleibt aber noch kurz stehen und sieht sich um.
    Das tut sie immer, egal, wo sie ist, als wäre jeder Ort ein möglicher Tatort. Aber jetzt scheint es so, als ob sich sämtliche Gegenstände, selbst die unwesentlichsten Details in ihrem Gedächtnis einbrennen – die Standuhr aus Nussbaumholz neben der Ankleide aus blinkendem Metall, der mannshohe Spiegel neben der Wohnungstür, ein Haufen von grauen und schwarzen Handschuhen aus Wolle und Leder auf dem Tischchen unter dem Spiegel, daneben Winterstiefel mit dicken Profilsohlen in vier unterschiedlichen Größen – und sie kennt dieses Gefühl kalter, schmerzhafter Klarheit, wie ein überscharfes Foto, das den Augen wehtut.
    Es kommt immer dann, wenn sie sehr nah dran ist an einem Ergebnis, wie gut oder schrecklich es auch ausfallen mag.
    Sie geht langsam nach oben, registriert die gelbe Rauputztapete, fährt leicht mit den Händen über die winzigen Papierhügel, so wie damals, wenn sich ihr Onkel Martin über sie hermachte, da kratzte sie anschließend die Papierhügelchen auf und wurde nie bestraft dafür.
    Seltsam oder auch ganz logisch.
    Sie steht vor Miekes Zimmer, die Tür ist halb offen. Mieke liegt seitlich auf dem Bett, das Gesicht der Tür zugewandt, wie ihre Mutter in Jogginghose und Fleecejacke gekleidet. Neben ihr liegt ein riesiger Kopfhörer, aus dem es leise und rhythmisch quäkt.
    »Hallo, Mieke«, sagt Sina und bleibt im Türrahmen stehen. Sie sieht sich nach Miekes Mutter um, kann sie aber nicht entdecken. Mieke sieht sie mit unbewegter Miene an, den Kopf auf die rechte Hand gestützt.
    »Kann ich reinkommen?«
    »Okay.«
    »Danke. Es dauert nicht lange.«
    »Okay.«
    Sina macht die Tür hinter sich zu. Nimmt sich einen Schreibtischstuhl und setzt sich an Miekes Bett.
    Schweigt und sieht sie an. Ihre Strategie: nichts reden, vor allem nichts Überflüssiges.
    Eine halbe Minute vergeht, eine halbe Ewigkeit. Schließlich senkt Mieke den Blick, wie schon so viele vor ihr. Weil sie das Schweigen nicht ausgehalten haben, und auch nicht Sinas Blick.
    »Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt, Mieke?«
    »Was?«
    »Du warst Karens beste Freundin. Du hast sie gedeckt. Daran ist nichts Schlimmes. Aber du musst mir jetzt sagen, wie alles gelaufen ist.«
    Mieke legt sich auf den Rücken, starrt an die Decke. Sie ist dunkelblau gestrichen mit vielen unterschiedlich großen weißen Punkten – ein Sternenhimmel. Vielleicht hat ihn Miekes Vater gemalt, als Mieke noch ein Kind war. Das ist noch nicht lange her, drei Jahre oder nur zwei.
    »Du hast Karen gedeckt, weil sie jemanden treffen wollte. Jemanden, den sie über Facebook kennengelernt hat.«
    Mieke wendet den Kopf ab, schließlich den ganzen Körper. Die Nachttischlampe beleuchtet ihren Rücken, das dunkle,lockige Haar, den grauen, samtartigen Stoff ihrer Jacke. Mieke ist kräftig gebaut, aber ihr Gesicht, das weiß Sina noch von

Weitere Kostenlose Bücher