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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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betrachtete. Seine Anwesenheit war mir weder angenehm noch unangenehm; ich stellte sofort fest, dass uns nichts verband, außer dem Zufall, eng miteinander verwandt zu sein.
    Meinem Vater schien es ähnlich zu gehen. Er sah mich unverwandt und – das muss ich ihm lassen – ohne jede Ängstlichkeit und Verlegenheit an und sagte schließlich nach ein oder zwei Minuten Schweigen: »Du hast das Schlimmste von mir und deiner Mutter geerbt, tut mir leid, dir das sagen zu müssen.«
    »Macht nichts«, sagte ich. »Etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht.«
    »Deine Mutter ist eine frigide Säuferin und mir sind Menschen vollkommen egal. Ich bin ein Egoist par excellence und deine Mutter ist hysterisch und rücksichtslos«, sagte mein Vater. »Diese Kombination ist nicht ungefährlich. Sogar hoch riskant«, fuhr er fort und lehnte sich zurück, seine rechte Hand lag halb geöffnet auf dem Tisch. Er wirkte weiterhin vollkommen entspannt, in Maßen auch neugierig. »Bei dir haben sich beide Eigenschaften zu einer verheerenden Supereigenschaft gebündelt.«
    »So siehst du das?«, fragte ich interessiert. Es kam mir gar nicht in den Sinn, gekränkt zu sein, über dieses Stadium war ich weit hinaus. Ich machte mir schon damals nicht mehr die geringsten Illusionen über mich und mein Potenzial, ein normales Leben zu führen.
    Mein Vater nickte entschlossen. Er wirkte fast ein bisschen stolz auf diese Erkenntnis, obwohl ja nicht viel dazugehörte; selbst wenn man sich nur oberflächlich mit Genetik beschäftigte,lag es auf der Hand, dass sich Erbanlagen auf die denkbar ungünstigste Weise vermischen konnten.
    So wie bei mir.
    »Du hast sicher recht«, sagte ich. Eigentlich war ich erleichtert. Zwischen meinem Vater und mir gab es keine Gefühle, da war nichts familiär Vertrautes, auch wenn er mir nicht unsympathisch war. Wenn ich ihn und meine Mutter enttäuscht hatte, hatte zumindest er sich damit abgefunden.
    »Wir haben jetzt einen Sohn«, sagte er plötzlich.
    Ich war verblüfft. »Hanno?«, fragte ich. Hanno hieß mein Bruder.
    »Nein, nicht Hanno. Hanno ist schon ausgezogen, er studiert und wohnt in einer Wohngemeinschaft. Er meldet sich kaum noch bei uns. Es geht um René. Er heißt René. Er ist jetzt zehn. Ein netter Junge. Ganz anders als du.«
    »Wirklich? Wie schön.« Dann war also meine Mutter noch einmal schwanger geworden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Vater sah mich merkwürdig an, als wäre er gespannt auf meine Reaktion. Aber warum sollte mich das interessieren? Zwischen mir und meiner Familie gab es keine Verbindung mehr.
    Schließlich sagte er: »Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben. Besonders deine Mutter nicht. Schon wegen René. Er weiß nicht, dass es dich gibt. Wir wollen, dass das so bleibt.«
    Ich war nicht überrascht. »In Ordnung«, sagte ich.
    »Wir zahlen dir natürlich ein Studium, wenn du das willst.«
    »Ja«, sagte ich. »Das wäre gut.«
    »Vielleicht wird ja noch was aus dir.«
    »Wir werden sehen«, sagte ich.
    »Es läuft so«, sagte mein Vater, sichtlich erfreut über meine Kooperationsbereitschaft. Er beugte sich nach unten und holte einen Aktenkoffer aus glattem schwarzem Leder nach oben, den er auf den Tisch legte. Er öffnete ihn mit einer Zahlenkombination, holte eine Klarsichtmappe mit Papieren heraus und schob sie mir hin.
    Ich sah die Unterlagen durch. Er hatte mir ein Konto eingerichtet, auf dem ein recht hoher Betrag eingezahlt war – genug, um mir eine Wohnung nehmen zu können und ein paar Monate ohne weitere finanzielle Hilfen zu überleben. Zusätzlich würde er mir jeden Monat einen bestimmten, ebenfalls großzügig bemessenen Betrag per Dauerauftrag zukommen lassen.
    »Du hast fünf Jahre Zeit«, sagte er. »Danach musst du für dich selbst aufkommen.«
    »In Ordnung.«
    »Das war’s von unserer Seite aus. Wenn irgendetwas ist, schreib mir postlagernd, die Adresse befindet sich in den Unterlagen. Ruf nicht an.«
    »Nein.«
    »Auf keinen Fall. Egal, was ist. Auch nicht, wenn du krank bist.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Dann ist ja alles geregelt.« Er lächelte eine Millisekunde lang und machte Anstalten aufzustehen. Einen ganz kurzen Moment lang bedauerte ich das sogar. Dann stand ich ebenfalls auf und streckte ihm über den Tisch hinweg die Hand hin. Er nahm sie zögernd und ließ sie schnell wieder los.
    Seine Hand fühlte sich kalt an. Das war das einzige Anzeichen, aus dem man hätte schließen können, dass er aufgeregt war, vielleicht sogar

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