Das Falsche in mir
Klar?«
»Okay.«
»Ja?«
»Ja.«
28. November 1976
Ich liebe Lukas. Und auch Ole. Ich weiß nicht weiter. Ich kann von Lukas nicht loskommen, aber ich will auch das andere nicht mehr. …
Lukas beschützt mich und er tut mir weh.
3. Dezember 1976
Ich habe mit Lukas geredet, wir haben geweint und alles, und jetzt ist es aus. Und ich bin leer.
Ole hat angerufen, aber ich hab nicht zurückgerufen. Ich kann mit niemandem reden.
10. Dezember 1976
Ole und ich sind jetzt zusammen. Lukas beachtet mich nicht mehr. Ich sehe, wie andere sich anstrengen, besonders Kerstin, blöde Barbieschnepfe. Er redet mit Kerstin, aber sie hat keine Chance.
Ich weiß, es ist richtig. Aber es tut so weh.
Ole ist total süß, und er weiß auch, dass er mir Zeit lassen muss. Wir haben viel Spaß. Wir machen viel mit anderen Leuten, also mit Steph und der Clique. Ich habe richtig viele Freunde! Zum ersten Mal! Alles ist plötzlich ganz leicht. Als ob mein Leben auf Schienen läuft.
15. Dezember 1976
Wir haben bei Steph gewichtelt. Ich habe was Blödes bekommen – einen Sticker mit Led Zeppelin drauf. War auch egal. Wir haben getrunken und getanzt. Ich lasse mir jetzt die Haare wachsen, der Pagenkopf ist so spießig!
Ole küsst so gut.
24. Dezember 1976
Weihnachten ohne Lukas. Er hat nicht angerufen. Er hat bei der Trennung gesagt, dass er mich versteht und dass er nicht böse ist, aber er schaut mich nicht mehr an. Alle sind froh. Das nervt mich schon wieder. Aber dann ist Ole auch so lustig, und alle mögen ihn, und ich kann nichts dafür, dass ich ihn auch mag.
Ich muss ihn einfach vergessen. Alle sagen, wie sehr ich mich verändert habe und wie gut ich jetzt aussehe, und ich weiß genau, was sie denken: Seitdem sie nicht mehr mit Lukas zusammen ist. Und dann hasse ich sie. Auch wenn sie recht haben.
…
28. Dezember 1976
Ole ist hell, Lukas ist dunkel und hart. Sophie sagt, ich muss mich entscheiden. Also gegen Lukas entscheiden. Das versuche ich jeden Tag.
Es wird schon besser. Hell ist besser als dunkel! Ich will nicht länger nachdenken, nachdenken ist dunkel, dunkel, dunkel. Ich schreibe hier nicht mehr rein, denn wenn ich hier reinschreibe, denke ich, und dann wird alles wieder dunkel.
Manchmal gehe ich am Haus vorbei. Ich kriege die Adresse nicht aus dem Kopf.
Ich höre auf zu schreiben.
Schluss!
10. Januar 1977
Lukas hat die Schule gewechselt. Keine Ahnung, wo er jetzt ist. Steph hat mich gefragt, wie das fürmich ist. Sie hat keine Ahnung, was zwischen uns wirklich passiert ist, ich würde das nie, nie, nie jemandem erzählen. Es ist jetzt gerade sehr weit weg, wie ein Traum. Es geht mir gut. Ja. Gut. Ich habe keine Sehnsucht mehr.
16
Nachdem ich meine Gefängnisstrafe verbüßt hatte, zog ich in eine andere Universitätsstadt. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt. Gegen das Versprechen, Leyden so schnell wie möglich zu verlassen, unterstützten mich meine Eltern so großzügig, dass ich mir mein Mathematik- und Physikstudium leisten konnte, ohne den Staat bemühen müssen.
Bis ich Birgit kennenlernte, gab es keine Frauen in meinem Leben, keine Flirts, keine Affären, nicht einmal platonische Beziehungen. Ich hatte einige wenige männliche Freunde – Cineasten wie ich, denen es Spaß machte, den politischen, soziologischen oder philosophischen Gehalt spröder Experimentalfilme zu analysieren. Meine zweite große Liebe wurde Freejazz, jene angenehm unsentimentale Musik, deren kühner, unberechenbarer Rhythmus meine Gedanken fokussierte, meine nervösen Spannungen beruhigte und Gefühle nicht aufkommen ließ. Auch hier gab es ein paar Gesinnungsgenossen, denen ich immer wieder auf Konzerten in schmuddeligen Kellerbars begegnete.
Attraktive Frauen waren auch in dieser Szene Mangelware, und das war mir sehr recht.
Kurz vor meiner Entlassung besuchte mich mein Vater im Gefängnis – das erste Mal überhaupt, dass sich hier jemand aus der Familie blicken ließ. Ich sah ihn zunächst von hinten, als mich ein Vollzugsbeamter in den fensterlosen Besuchsraum führte. Er trug einen grauen Anzug, der im Neonlicht leicht schimmerte. Auch seine Haare waren grau, aber immer noch voll, ähnlich wie meine heute. Er saß an einem von acht akkuratin einer Reihe aufgestellten Tischen, die übrigen waren leer.
Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber, der Beamte stellte sich, wie es üblich in diesem Gefängnis war, ein paar Meter hinter mich. Ich spürte seinen Blick im Nacken, während ich meinen Vater
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