Das falsche Opfer

in
Kramers Umgebung leicht ein deutliches Motiv erkennen ließe.«
    »Stimmt«, bestätigte ich
feierlich.
    Er tippte die Fingerspitzen
gegeneinander. »Wegen dieser Ansicht und weil ich keinen unmittelbaren Beweis
für meine Theorie bieten konnte, wurde ich vom Sheriff beschimpft und
beleidigt. Ich habe hier einen endgültigen Beweis für meine Theorie,
Lieutenant!« Er tippte mit Nachdruck auf den dünnen Aktendeckel, der vor ihm
auf dem Schreibtisch lag. »Einen endgültigen Beweis«, wiederholte er.
»Vielleicht interessiert er Sie?« Er schob mir den Aktendeckel zu. »Lesen Sie
selber.«
    »Vielen Dank«, sagte ich schell , »aber im Augenblick wäre mir lieber, Sie
berichteten mir darüber. Ich werde den Inhalt später lesen.«
    »Wie Sie wollen.« Er legte
erneut die Fingerspitzen gegeneinander, und ich fragte mich, ob ihm in seiner
Kindheit wohl einmal eine Kathedrale Schrecken eingejagt hatte.
    »Samuel Forde ist einer der ehemaligen Flieger und alten Kameraden Mitchell Kramers«, sagte
Irving pedantisch. »Vor ungefähr zwei Jahren gründete er einen Lufttaxidienst
auf dem Flugfeld von Pine City. Er hatte natürlich
keinen Cent Kapital.«
    Der Anwalt rümpfte eine Spur
die Nase. »Aber er besaß ja einen sehr guten und wohlhabenden Freund in Kramer,
der ihm die geringfügige Summe von fünfzigtausend Dollar für den Anfang lieh.«
    Ich gab einen leisen Pfiff von
mir. »Das nenne ich wirklich einen guten Freund.«
    »Ich habe damals, wie ich mich
erinnere, Einspruch erhoben«, sagte Irving steif, »und auf die offensichtliche
Tatsache hingewiesen, daß das ganze Unternehmen tollkühn sei und Forde ein unglaubliches finanzielles Risiko darstelle.«
    Seine dünnen Lippen kräuselten
sich leicht. »Ich kann heute noch Kramers Antwort aus dem Gedächtnis zitieren:
>Sam und ich sind alte Kameraden, sind den ganzen
Krieg über miteinander geflogen und dann wieder in Korea — ich kann einen alten
Kameraden nicht im Stich lassen.< Logik hat gegen diese Art sentimentalen
Geschwätzes keine Chance, Lieutenant, nicht die geringste. Forde bekam also letzten Endes seine fünfzigtausend für seinen Lufttaxidienst.«
    »Und das ist ein Motiv für
Mord?«
    Hinter den viereckigen
Brillengläsern erschien eine Sekunde lang ein schwaches Funkeln. » Heute morgen , auf dem Weg zu meinem Büro, fiel mir
plötzlich diese Anleihe ein«, sagte er eine Spur schneller als sonst. »Irgendwo
in meinem Unterbewußtsein nagte beharrlich das
Empfinden, daß mit dieser Anleihe irgend etwas verbunden war — etwas Wichtiges, woran ich mich eigentlich erinnern müßte. Also
zog ich als erstes heute morgen die Akte von Fords
Lufttaxidienst Inc. heraus. Und da war durchaus etwas — ein wichtiges Detail,
würde ich sagen, Lieutenant —, ein ins Auge springendes Motiv für einen Mord!«
    Ich begann zunehmend schneller,
die Empfindungen zu begreifen, die Lavers am Vortage
dieser langatmigen Flasche Karottensaft gegenüber gehegt hatte.
    »Was zum Beispiel?« knurrte
ich.
    »Zum Zeitpunkt, als das Geld
ausgeliehen und die rechtlichen Bedingungen festgelegt wurden«, sagte Irving
triumphierend, »war Forde begreiflicherweise
beunruhigt, was aus seinem Lufttaxidienst würde, wenn Kramer irgendwann in der
nächsten Zukunft etwas zustoßen sollte. Ich begriff seine Besorgnisse nur zu
gut: Er wußte, daß, wenn Kramer starb, ich seine Vermögensverwaltung übernehmen
und dann kurzen Prozeß mit ihm, Forde , machen würde.
Also schlug er vor, daß sowohl er wie Kramer eine Lebensversicherung in Höhe
von fünfzigtausend Dollar abschließen sollten, und zwar jeweils zugunsten des
anderen.«
    »Wenn also Kramer gestern in
diesem Flugzeug in Stücke gerissen worden wäre, so hätte das Forde fünfzigtausend Dollar eingebracht?« sagte ich,
dankbar, daß er nun wenigstens zu des Pudels Kern gekommen war.
    »Genau.« Er strich sich sanft
über sein Haupt auf der Suche nach etwas Unmöglichem, nämlich daß ein Haar
vielleicht nicht ganz richtig liegen könnte.
    »Dieser idiotische
Lufttaxidienst von Forde hat nicht im geringsten
floriert — ich habe die Unterlagen, um es zu beweisen. Ich glaube, ich kann in
diesem Augenblick mit Sicherheit sagen, daß er verzweifelt in der Klemme
steckt.« Irving lehnte sich zurück und betrachtete mich mit einem Ausdruck
tiefster Selbstzufriedenheit. Ich hatte den Eindruck, als finge er jetzt gleich
an, Daumen zu drehen. »Wenn Sie also auf der Suche nach einem Motiv sind,
Lieutenant«, sagte er mit wohlwollender