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Das falsche Opfer

Das falsche Opfer

Titel: Das falsche Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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kicherte bösartig und schloß sanft die
Tür hinter mir, damit der Laut nicht ihr Nervensystem zerrüttete.
    Die Schwierigkeit ist, so
überlegte ich, während ich die Treppe hinabstieg, daß das eine, was ich bei
tugendhaften Mädchen schätze, in Wirklichkeit nie erhältlich ist. Ich habe eine
natürliche Neigung zu dieser Art tiefgründigen Denkens — ein unmittelbares
Verständnis und eine Einsicht, wie sie nur wenigen gegeben ist.
     
     
     

Fünftes Kapitel
     
    I m allgemeinen gibt es hier zwei
Arten von Rechtsanwaltsbüros. Das eine gehört zu der staubigen und halb
vernachlässigten Sorte, wo etikettierte und gebundene Dokumente unordentlich
und in reicher Anzahl auf den Regalen herumliegen. Das ist die beruhigende Atmosphäre:
Der Bursche muß ein guter Anwalt sein, denkt man, weil er offensichtlich seit
langer, langer Zeit in seiner Branche tätig ist. Und doch müssen in Hinblick
auf sein Büro seine Honorare sich in vernünftigen Grenzen halten, sonst würde
er sich einen besser aussehenden Arbeitsplatz leisten. Die andere Kategorie ist
modern ausgestattet, nichts als Glas und poliertes Mobiliar und selbständige
Sekretärinnen, die förmlich Tüchtigkeit ausstrahlen. Die erste Reaktion des
Besuchers ist schieres Entsetzen: Wieviel braucht
dieser Bursche, um solch einen Laden aufrechtzuerhalten? Und der zweite,
beruhigende Gedanke ist, daß er ein verteufelt guter und erfolgreicher Anwalt
sein muß, um sich so etwas leisten zu können.
    Philipp Irvings lag, wie ich
sah, als ich gegen halb elf Uhr am nächsten Morgen dort eintraf, sozusagen in
der Mitte dieser beiden Kategorien — und danach zu urteilen, was ich bisher von
Irving gesehen hatte, paßte es zu ihm. Wenn jemand
der Typ war, der seine Zeit abwarten konnte, dann er. Aber wenn er auf etwas
Wert gelegt hatte, dann war es die selbständige Sekretärin, das mußte ich
anerkennen.
    Das Mädchen, das, als ich mich
näherte, von seinem Schreibtisch aufblickte, hatte kurzes, glänzendschwarzes
Haar, das irgendwie unbekümmert geschnitten wirkte, als ob sie irgendwann
während einer Kaffeepause eine stumpfe Schere ergriffen und geistesabwesend
damit herumgeschnipselt hätte, weil sie nichts Besseres zu tun hatte. Aber an
ihr sah es gut aus — verblüffend gut sogar — und betonte die festen, gesunden,
gerundeten Wangen und den vollen Schwung ihrer arroganten, aber empfindsamen
Unterlippe. Sie trug ein hübsches blaues Hemdblusenkleid, von dem die
Modezeitschriften sicher behaupteten, es sei genau das Richtige fürs Büro, nur,
woher sie das wissen wollten, ohne ihre Figur gesehen zu haben, blieb ein
Geheimnis. Aber als ich einen zweiten Blick auf ihre Figur warf, wurde mir
klar, daß nichts, außer allenfalls ein Kettenpanzer, diese prächtigen Kurven
verbergen konnte und somit als einziges Kleidungsstück das genau Richtige für
ein Büro gewesen wäre.
    Ihre klaren haselnußbraunen Augen blickten mich mit einem Ausdruck an, den ich normalerweise vertrauensvoll
als »mit gleichem Interesse« bezeichne. Aber seit ich Angel kennengelernt
hatte, war ich, was Frauen anbetraf, unsicher geworden. Das Mädchen holte tief
Luft, und während sich ihr Busen gegen das Hemdblusenkleid preßte, begann ich
mich zu fragen, ob selbst ein Kettenpanzer das angemessene Kleidungsstück für
sie gewesen wäre.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«
Ihre Stimme paßte genau in meine
Phantasievorstellungen von dem langen arktischen Winter in einem Eskimo-Iglu in
Gesellschaft von zehn Hollywoodstarlets.
    »Vielleicht können Sie mir mein
Selbstvertrauen zurückgeben?« sagte ich sehnsüchtig. »Ich bin ein sehr nervöser
Typ.«
    »Wenn Sie Doktor Krall, den
Psychiater, suchen — der ist zwei Stockwerke tiefer«, sagte sie forsch. Sie
betrachtete mich ein paar Sekunden lang eingehend. »Sie sehen aber gar nicht so
nervös aus.«
    »Ich bin es auch bisher nur ein
einziges Mal in meinem Leben gewesen«, gestand ich. »Es passiert überhaupt nur,
wenn ich mich unerwartet einem Musterexemplar vollkommener weiblicher Schönheit
gegenüber sehe, so wie bei Ihnen.«
    »Ich sehe an Ihrem Zittern, daß
Sie wirklich nervös sind!« Sie lächelte leicht, und es wirkte wie ein
plötzlicher Sonnenstrahl, der sich über einem gewitterschwülen Himmel
ausbreitet. »Ich bin sicher, daß sich Doktor Krull Ihrer annehmen wird.«
    »Ich habe gehofft, Sie würden
es tun«, sagte ich ernsthaft. »Wenn ich Gelegenheit hätte, mich mit einem
Musterexemplar wie Ihnen vertraut zu machen, würde ich

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